Die Götter von Freistatt
ist, werde ich dich absetzen, nicht eher.«
Er trug sie vorbei an den herumliegenden Bausteinen des unfertigen Tempels und hinaus in freies Land, außerhalb der Grenze des unter rankanischer Herrschaft stehenden Freistatts, auf die zerfallenden Häuser zu, die verlassen lagen, seit Ilsig die Stadt aufgegeben hatte. Sie schauderte und weinte lautlos, schmiegte sich jedoch fest an ihn, während er im Grau des neuen Tages durch die unkrautüberwucherten ehemaligen Acker stapfte. Bei einer halb eingefallenen Mauer hielt er an und setzte sie darauf.
»Die Höllenhunde kommen auf ihrer Streife am Morgen hier vorbei. Sie werden dich sehen und sicher zu dem Prinzen und dem Fackelhalter zurückbringen.«
Sie bat ihn nicht, mit ihm gehen zu dürfen, das gestattete sie sich nicht. Der, für den sie getanzt hatte, war nicht mehr, hatte sich vielleicht für alle Ewigkeit zurückgezogen, und der, der geblieben war, gehörte wohl nicht zu der Art, der zu folgen klug wäre für eine Sklavin und Tänzerin. Außerdem mußte sie an das Kind denken ... Trotzdem vermochte sie nicht, sich von ihm abzuwenden, als er sie finster anstarrte. Doch da wurde sein Gesicht ein wenig weicher, als lebte ihr Liebster doch noch hinter der grimmigen Miene.
»Wie heißt du eigentlich?« Seine Stimme klang fast sanft, doch vielleicht auch eine Spur spöttisch.
»Seylalha.«
»Ein nordischer Name, nicht wahr? Hübsch zur Erinnerung.«
Und dann verließ er sie. Er schritt quer über die verwilderten Felder zurück zur Stadt. Sie schlang sich die zerrissene und angesengte Toga um die Schultern und wartete.
7
Molin Fackelhalter eilte durch die polierten Steinkorridore des Palasts. Seine neuen Sandalen klatschten gegen die Fußsohlen und klapperten widerhallend in den leeren Gängen. Dieses Geräusch erinnerte ihn an die lederumwickelten Stöcke seiner Sklavinnen, und das wiederum an das mysteriöse Feuer während der Nacht des Zehntodes vor zwei Wochen, das so viele Leben gekostet hatte. Er hatte jetzt nur noch wenige Tempelsklavinnen und Eunuchen.
Gleich am Tag nach dem Feuer hatte er einen Boten in die Hauptstadt geschickt mit einem Bericht über die Ereignisse so wie er sie auslegte. Er hatte ihn selbst geschrieben und versiegelt. Keineswegs konnte der Prinz schneller gehandelt haben, und selbst wenn, wäre unmöglich bereits eine Antwort angekommen. Es gab keinen Grund, warum Kadakithis oder der Kaiser persönlich heute Anweisungen, Vashanka betreffend, geben sollte. Doch der Prinz hatte ihn ungewohnt gebieterisch zu sich gerufen, und so eilte Molin mit besorgter Miene durch die langen leeren Korridore.
Seit dem Zehntod sah er den Prinzen mit anderen Augen und nahm ihn weit ernster als zuvor. Nachdem die verkohlten Überreste von Zelttuch und Holz ausreichend abgekühlt waren, so daß die Höllenhunde sich umsehen konnten, hatten sie einen Haufen Schädel auf einem Fleck gefunden und die Leichen der zehn Verurteilten verstreut in den versengten Trümmern. Für einen, der seine Abneigung gegenüber Blutvergießen so deutlich ausdrückte, hatte Kadakithis Vashankas Rache ziemlich genau nachvollzogen - mit einer Genauigkeit sogar, die nicht unbedingt erforderlich gewesen war, und in allen Einzelheiten, an die Molin sich nicht erinnern konnte, sie dem Prinzen überhaupt mitgeteilt zu haben.
Neben dem Thron des Prinzen stand Tempus, der also nach einer weiteren ungeklärten Abwesenheit wieder zurück war. Der stämmige grausame Höllenhund sah nicht sehr glücklich aus - vielleicht machten sich die Anstrengungen der getreuen Heiligen Bruderschaft bereits bemerkbar. Wieder wünschte Molin sich, er wüßte, weshalb er hierherbefohlen worden war, dann nickte er dem Herold zu und vernahm, wie dieser ihn anmeldete.
»Ah, Molin, da seid Ihr ja. Wir fragten uns bereits, wo Ihr so lange bleibt«, sagte der Prinz mit seinem üblichen Charme.
»So sehr ich meine neuen Gemächer schätze, scheinen sie doch mehrere Meilen von hier entfernt zu liegen. Nie hätte ich gedacht, daß es in einem kleinen Palast so viele endlose Gänge geben könnte!«
»Ihr seid mit Eurer neuen Unterkunft zufrieden? Und Lady Rosanda ...«
»Das Mädchen, das Azyunas Tanz vorführte - was ist aus ihr geworden?« unterbrach Tempus den Prinzen, und Molin wandte seine Aufmerksamkeit sofort dem Höllenhund zu.
»Sie trug nur ein paar geringfügige Brandwunden davon«, antwortete Molin vorsichtig, denn Tempus’ finstere Miene entging ihm nicht. Der Höllenhund hatte ihn durch den
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