Die Göttin der kleinen Siege
nicht merkte, dass es ihr peinlich war.
„Geht es mit dir und Oskar besser?“
„Wir tolerieren uns.“
„Er kümmert sich sehr um Kurt, das musst du anerkennen. Ohne ihn wäre es schwieriger.“
Ich zündete eine Zigarette an.
„Du rauchst noch? Dein Mann kann es doch nicht ausstehen.“
„Nur um Herrn Morgenstern zu ärgern! Willst du etwas trinken?“
„Du hast nicht auf mich gewartet, um damit anzufangen, Adele!“
Sie rügte mich mit einem freundschaftlichen Klaps. Es war schön, eine Freundin wie Lili zu haben – eine Schwester im Exil, eine Gefährtin, die mich ohne jede Herablassung aufbaute. Sie war klüger, gebildeter, reicher, gesellschaftsfähiger als ich, sie besaß alle Grundtugenden der Gattinnen von Princeton. Dennoch hatte sie in dieser kleinen Welt eine ungewöhnliche Gabe – ihr war das alles so egal wie ihre erste Dauerwelle. Meine Lili war keine Schönheit, sie hatte eine große Nase und dicke Lippen, aber einen offenen Blick von unendlicher Sanftmut, ein Refugium voller Mitgefühl, um eine hungernde Seele aufzunehmen. Albert, der in der Wahl seiner Freunde anspruchsvoll war, schätzte sie sehr.
Wie eine eifrige Maklerin präsentierte ich ihr mit weit ausgebreiteten Armen das Wohnzimmer. Neue Möbel hatten wir nicht kaufen müssen, wir waren bereits ausreichend versorgt. Kurt beklagte sich über das Fehlen eines Flurs, wie man ihn in Europa hatte – die amerikanischen Grundrisse waren für ihn eine Verletzung der Privatsphäre. Ausnahmsweise übernahm ich diesbezüglich den amerikanischen Pragmatismus: eine Eingangsdiele wäre Platzverschwendung. Wir hatten zwei Schlafzimmer, dort konnte man sich in aller Ruhe den Kopf zerbrechen. Ich wälzte eine Menge Pläne. Den hinteren Teil des Wohnzimmers wollte ich als Esszimmer nutzen und in dem zusätzlichen Raum hinter der Küche ein Büro für Kurt allein einrichten, sodass ich mir nicht mehr anhören müsste, wie er über meine Geschäftigkeit nörgelte. Lili hörte sich mein Geplapper mit ihrem Schönwetterlächeln an.
„Ich freue mich so für dich, Adele! Endlich kannst du Gäste empfangen. Du bist zu viel allein.“
„Du kennst ja Kurt, er mag keine Gesellschaften.“
„Dennoch könnte er einräumen, dass es zwischen Zurückgezogenheit und ständigem Trubel noch etwas anderes gibt.“
„In seinem Alter ändere ich ihn nicht mehr. Wir hätten sehr viel mehr erreichen können. Wie die Oppenheimers. Robert weiß zumindest, wie er Früchte aus seinen Fähigkeiten ziehen kann.“
„Ruhm ist nicht alles, Adele, Geld noch viel weniger.“
„Für andere, ja!“
Lili runzelte ganz leicht die Stirn. Ich konnte meinen Hintergrund aus der Wiener Arbeiterschaft nur schlecht unter dem Mäntelchen der „etablierten Dame“ kaschieren. Ich hatte zwar nie in der Fabrik gearbeitet, dafür hatte ich meine Beine am Fließband gezeigt, das war das Gleiche. Ich beneidete die Oppenheimers um ihre Verhältnisse. Das Paar lebte mit seinen beiden kleinen Kindern in einer riesigen Villa mit achtzehn Zimmern in der Olden Lane direkt neben dem IAS und erfreute sich der Honorare, die Roberts zahlreiche Aktivitäten einbrachten. Damit war Kittys Zukunft abgesichert, sie ertränkte ihre Langeweile in Gartenarbeit und Gin Tonic. Sie hatte ihr Studium aufgegeben, um Schlossherrin auf ihrem viel zu großen Anwesen zu spielen. Über Kurts Sekretärin hatte ich ein paar pikante Details über Kitty erfahren: „Oppie“ war ihr vierter Gatte, vor ihm war sie mit einem Musiker, einem Politiker und einem Radiologen verheiratet gewesen. Der vorletzte, ein militanter Kommunist, soll im Spanischen Bürgerkrieg gefallen sein. Ich fragte mich, wie Robert, der während des Krieges für die Regierung gearbeitet hatte, damit zurechtkam.
„Komm, sieh dir die Küche an. Sie ist für meinen Geschmack ein bisschen zu modern, aber ich habe Pläne damit, ich möchte sie als Bauernstube einrichten, möchte sie mit mehr Holz gemütlicher machen – wie auf dem Land.“
Obwohl ich mich nicht des schuldbehafteten Vergnügens an Klatsch und Tratsch enthalten konnte, schätzte ich die Gesellschaft der Oppenheimers. 1947, nach seiner Entlassung aus dem Manhattan-Projekt, war Robert zum Direktor des IAS gewählt worden. Mit seinen dreiundvierzig Jahren hatte er dank seiner Arbeit in Los Alamos und seiner politischen sowie militärischen Beziehungen beträchtlichen Einfluss im Land. Hinter seiner kalten Arroganz besaß Oppie einen verhängnisvollen Charme, dazu trug
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