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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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noch erstaunen. Man kann in der Zeit reisen. Toll! Albert selbst hat einmal gesagt: ‚Mit Mathematik kann man alles beweisen‘.“
    „Sie vergaloppieren sich da ein bisschen, Adele. Sie haben wohl etwas zu viel getankt.“
    Lili fiel Oskar in sein schneidendes Wort.
    „Ist das euer Ernst? Na, da sind wir ja mitten in einem Science-Fiction-Film!“
    Mein Einsiedlerkrebs spürte, dass die Strömung stärker wurde, und zog sich in sein Schneckenhaus zurück.
    „Unser Freund Gödel ist kein Scharlatan, das weiß doch jeder!“
    „Klären Sie uns auf, Herr Einstein. Dann kann ich später meinen Kindern erzählen, dass ich Sie als Lehrer hatte.“
    Dorothy klatschte in die Hände. Sie wusste, wie man Männer zum Reden brachte. Ich war ihr in dieser Sache zwanzig Jahre voraus, aber sie hatte zwanzig Jahre weniger auf den Hüften. Albert war nicht unempfänglich für ihre Reize.
    „Sagen Sie das mal den Meinen! Sie haben es nicht geglaubt.“
    „Gebt dem Meister der Zeit zu trinken!“
    „Für eine solche Akrobatik brauche ich vor allem meine Pfeife.“
    Ich sah, wie seine jungen Kollegen hüstelten, als der Physiker sich in einer kurzen Erklärung der Gleichungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie erging. Sein Vokabular war mir nicht fremd. Da ich oft bei solchen Gesprächen zugegen war, habe ich ein paar Begrifflichkeiten aus der Physik mitbekommen. Doch sosehr ich mir auch Mühe gab, ich konnte mir seinen vierdimensionalen „Wackelpudding“, die Raumzeit, einfach nicht vorstellen – die drei Raumdimensionen plus der Zeit. Vielleicht hatte ich nicht genügend Finger. Doch so weit ich es verstanden hatte, erlaubten Einsteins Ingredienzen mehrere Rezepte. Die Formeln führten zu verschiedenen Lösungen, eine jede modellierte ein anderes mögliches Universum. Auch wenn es mir schwerfiel, mir andere Welten vorzustellen, konnte ich es nachvollziehen, denn aus denselben Zutaten kochte ich mitunter ganz unterschiedliche Mahlzeiten – vom Göttlichen bis hin zum Schrecklichen.
    Mit seinem eigenen mathematischen Küchenlatein hatte mein Mann die Möglichkeit eines Universums von unverdaulicher Geometrie aufgestellt. In diesen Welten waren die Raum-Zeit-Bahnen in sich geschlossene Zeitschleifen ohne Anfang und Ende. Er hatte es mir erklärt, indem er mein Maßband verdreht hatte. Mit anderen Worten: Mit einer Fahrkarte in die Zukunft konnte man in einem Bahnhof der Vergangenheit landen. Kurt zufolge konnte man in seinen Universen an Bord eines Raumschiffes in einer ausreichend großen Kurve in jede nur mögliche Zeitregion hin und wieder zurück reisen – ganz genau so, wie wir uns in unserer bekannten Welt bewegten.
    Dieses geniale Spielchen ging Albert gegen den Strich, denn, wie er selbst gern sagte, war er in der Mathematik noch nie ein Wunderknabe gewesen. Er hatte uns einmal anvertraut, dass er sich als Schüler in den Mathestunden fürchterlich gelangweilt hätte und seine Lehrer in dem jugendlichen Wirrkopf keinerlei speziellen Begabungen entdeckt hätten. 19 Gegenüber den Arbeiten meines Mannes legte Albert die kokette Bescheidenheit eines alten Faulpelzes an den Tag, um ihn nicht völlig zu kränken. Kurts äußerste Extrapolation mündete in einer Sicht der Zeit, die mit Alberts philosophischen Überzeugungen unvereinbar war. Doch dass er diese Kluft in ihrer Freundschaft öffentlich kommentieren musste, war ihm zuwider. Er drehte eine Haarsträhne neben seinem Ohr zwischen den Fingern und suchte eine akzeptable Ausstiegsluke.
    „Unser Freund ist schwindelfrei. Er amüsiert sich königlich mit seiner Mathematik!“
    Kurt schob seinen Teller zurück und faltete seine Serviette zu einem Viereck. Der oberflächliche Ton der Unterhaltung, der seinen unerbittlichen Bemühungen um Genauigkeit zuwiderlief, verärgerte ihn. Oskar schmierte ihm den passenden Honig um den Mund: „Wir warten auf Ihre Erhellungen, Kurt. Wir sind unter Freunden, Sie werden uns unseren Dilettantismus sicherlich verzeihen. Aber unsere Wissbegier ist ernst gemeint.“
    „Ich sehe nicht ein, wieso ich mich in einem Kreis rechtfertigen sollte, von dem die Hälfte nicht in der Lage ist, objektive Terminologien zu begreifen. Sie wissen, dass es kein theoretisches Spiel ist, Herr Einstein. Ich rechne damit, dass dieses kosmologische Modell auch empirisch bewiesen werden kann. Im Übrigen habe ich die notwendigen Geschwindigkeitswerte für diese Bewegung genauestens ausgerechnet.“
    „Hast du auch an Reiseproviant gedacht?“
    Meine

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