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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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wesentlich sein Ruf als „Vater der Atombombe“ bei. Wie mein Mann war auch Robert sehr hager, sein Gesicht ausgemergelt – eine strenge, pastorale Gestalt mit einem verstörenden Blick. Seine so hellblauen Augen schienen einem die Seele zu sezieren und nebenbei auch noch den Körper. Seine Nächsten bezeichneten ihn als Arbeitstier, für das Schlaf ein Fremdwort war. Kitty musste ihn zum Essen zwingen, das war ein winziger Punkt, den sie mit uns gemeinsam hatten, allerdings konnte Robert sich im Gegensatz zu Kurt als Genießer geben. Nie habe ich ihn ohne Zigarette im Mundwinkel gesehen, er zündete eine an der anderen an – ein Zeichen seiner nie erlöschenden inneren Verbrennung. Kurt war ein ungeselliger, schweigsamer Mensch, Robert hingegen ein Tribun, er war ein Mann der Macht und der Worte, und er war in der Lage, welches Thema auch immer zu diskutieren, auch wenn es weit über sein Fachgebiet, die Atomphysik, hinausreichte. Er hatte den Ehrgeiz, das IAS in ein interdisziplinäres „Team“ aus den Besten der Besten zu verwandeln, und zögerte nicht, auch alle Koryphäen aus Fachgebieten außerhalb der Mathematik und Physik ans Institut zu berufen. Im Unterschied zu Roberts vorhergehender Wirkungsstätte, dem Los Alamos National Laboratory , hatten die Vollblüter vom IAS, wie mein Mann oder Einstein, jedoch eher die Tendenz, allein voranzutraben – und nicht immer in dieselbe Richtung.
    „Ich habe Kamelien im Garten gepflanzt. Dann will ich einen Springbrunnen anlegen. Und warum nicht auch eine Gartenlaube? Ich lade dich zum Tee hierher ein – wie eine richtige Dame! Apropos Dame, willst du einen Cocktail, meine Liebe?“
    „Hüte dich vor Martinis, Adele.“
    Lili hatte recht, ich war ein bisschen betrunken, und zwar aus Lampenfieber wegen unserer Gäste. Im Unterschied zu Lili, zu Kitty oder all den Dorothys, die sich seit ihrer Kindheit in intellektuellen Kreisen bewegten wie Fische im Wasser, wusste ich, dass meine Vorlieben bodenständigerer Natur waren – andere standen mir ja schließlich nicht zur Verfügung. Warum sollte ich bei der Einrichtung meines Hauses so tun, als sei es eine großbürgerliche Heimstatt? Dieses seltsame Haus, das sie für schäbig halten mussten, war mein Zuhause, meine Welt, die ich nach meinen Vorstellungen eingerichtet hatte. Ich würde mich nicht dafür entschuldigen, auch wenn ich ein paar Gläser Alkohol brauchte, um meinen Stolz offen zu zeigen. Ohne auf Lilis Einwände einzugehen, mixte ich uns ziemlich steife Martinis. Wir nippten daran, während wir beobachteten, wie die beiden Kollegen hinten im Garten auf und ab gingen.
    „Wie geht es Albert? Seit der Operation seines Aneurysmas in der Bauchaorta letzten Dezember kommt er mir abgeschlagen vor. Er übernimmt sich noch immer.“
    „Er kaschiert seine Müdigkeit mit Humor. Neulich hat er mir ein Foto geschenkt mit dem Kommentar: ‚Wie schade, dass Sie nicht die Nacht mit mir verbringen wollen.‘“
    „Du bist ja schon seine Chauffeurin. Sieh zu, dass du nicht seinem angestaubten Charme erliegst!“
    „Albert ist wie ein Vater für mich.“
    „Pass trotzdem auf deinen Hintern auf.“
    Ich streckte ihr die Zunge heraus – eingedenk eines Fotos des Physikers, das nach seiner Entlassung aus der Klinik um die Welt gegangen war. Er hatte es seinem Chirurgen gewidmet: „Für Nissen meinen Bauch, für die Welt meine Zunge.“
    Der ehrwürdige Meister verzichtete nicht auf schlüpfrige Bonmots. Bei einer Gesellschaft, bei der die, nach seinem Geschmack, zu prüden Tischgenossen mit wohlgesetzten Worten über Sex gesprochen hatten, hatte ich gehört, wie er erklärt hatte: „Die ganze Angelegenheit dauert nur zwei Minuten, und das war’s.“ Kurt war fast ohnmächtig geworden. Albert verachtete die Heuchelei hinter Konventionen wie der Ehe, die nach seinem Verständnis nicht mit der menschlichen Natur in Einklang standen. Ich verstand ihn. Aber wohingegen Kurt und ich dieses Postulat nie praktisch angewandt hatten, erfreute Albert sich seiner Freiheit als Mann, während er sich die Bequemlichkeit eines Heims bewahrte. Gewisse Prinzipien sind eben nur von relativer Konsistenz.
     
    „Die Steaks sind fertig.“
    „Aber Adele! Wo ist denn Ihre österreichische Küche geblieben?“
    „Ich bin Amerikanerin, Herr Einstein. Ich habe ein amerikanisches Haus, und ich koche a-me-ri-ka-nisch!“
    „Wir alle sind Amerikaner, lesen Sie nicht zu viel hinein. Wenn Sie eine echte Patriotin sein wollen, dann müssen Sie

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