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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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Albert hat noch Saft und Kraft!“
    „Worum geht es bei dieser einheitlichen Feldtheorie?“
    „Ihre liebe Frau ist unersättlich, Gödel!“
    „Fühlen Sie sich nicht zu einer Antwort verpflichtet, Herr Einstein. Sie wird es nicht verstehen.“
    „Nicht so zimperlich, Gödel! Ich unterziehe mich gern dieser Art von Übung.“
    Er drückte vor meinen Augen eine Brotkugel zusammen.
    „Auf die physische Welt wirken vier Grundkräfte ein, gnädige Frau: Elektromagnetismus, schwache Kernkraft – die radioaktive Zerfallsprozesse bewirkt –, starke Kernkraft – die den Zusammenhalt von Materie bewirkt –, und …“, er warf Pauli das Kügelchen zu, „… die Schwerkraft. Alle Körper ziehen sich gegenseitig an. Natürlich meine ich damit nicht die fleischlichen Anziehungskräfte meines jungen Freundes hier, für die ich wenig empfänglich bin. Jedenfalls ist diese so kleine Kraft ein enormer Stein im Schuh der Physiker. Wir schaffen es nicht, die Schwerkraft in ein zusammenhängendes Modell mit den drei anderen Kräften zu packen. Dennoch können wir ihre Existenz in jedem Augenblick unseres Lebens verifizieren. Ich falle, du fällst, wir fallen immer mal wieder von oben nach unten. Wundersamerweise aber fallen die Sterne uns nicht auf den Kopf. Kurz, Sie sehen, wie ich Pauli aus purem Spaß am Spiel foppe. Wir haben beide recht, aber nicht zur selben Zeit. Wir legen zwei korrekte Beschreibungen der Welt vor – er beschreibt sie in den allerkleinsten Teilchen, ich in den allergrößten Dimensionen. Nun hoffen wir, uns eines Tages in einer wundervollen einheitlichen Theorie unter dem Jubel der Massen, unter Girlanden und Blumen zu versöhnen. Ich arbeite unermüdlich daran, denn Wolfgang liebt Blumen.“
    Als hätte Kurt eine ganze Raum-Zeit-Schleife verpasst, kam er wieder auf das vorige Thema zurück:
    „Wie dem auch sei, Russell mag Princeton nicht. Er ist so britisch! Er sagt, die Universität würde mit ihren neogotischen Gebäuden Oxford nachäffen.“
    „Damit hat er ja nicht ganz unrecht. Und Sie, Adele, wie haben Sie sich in Princeton eingelebt?“
    „Ich sehne mich nach Wien. Princeton ist sehr provinziell. Die Leute sehen mich schief an, weil ich einen Akzent habe.“
    „Es ist leichter, einen Atomkern zu spalten als ein Vorurteil. Man hat sogar den Sohn meines Freundes Max von Laue beim Segeln verhaftet. Er wurde verdächtigt, Signale an feindliche U- Boote zu senden! Sein deutscher Akzent hatte ihn verraten.“
    „Meine Frau weigert sich, Englischunterricht zu nehmen.“
    „Dazu habe ich keine Zeit.“
    „Wenn du das Hausmädchen nicht entlassen hättest, so hättest du Zeit.“
    Ich sagte nichts. Ich musste mich von meiner Haushälterin trennen, weil ich sie im Verdacht hatte, uns zu bestehlen. Wenn ich ganz ehrlich sein wollte, so konnte ich mich nicht daran gewöhnen, jemanden zu haben, der in meinen Diensten stand. Aber es wäre mir peinlich gewesen, vor unseren Gästen diesen, wie ich wusste, proletarischen Reflex zu äußern.
    „Sie haben kein Sitzfleisch – ständig ziehen Sie um.“
    „Kurt kommt dem Institut immer näher. Wir wohnen gleich beim Bahnhof. Er wollte diese Wohnung mieten, weil sie ringsherum Fenster hat. So können wir lüften.“
    „Ich denke, ich habe verstanden. Sogar mir ist kalt, Gödel. Schließen Sie die Fenster.“
    Mein Mann erhob sich widerwillig.
    „Ich mache den Haushalt, ich gehe ins Kino, ich koche für Kurt Essen, das er nicht isst. Ich stricke und nähe für das Rote Kreuz.“
    „Sie beteiligen sich an den Kriegsanstrengungen.“
    „Es ist wenig. Ich beschäftige meine Hände, damit ich nicht so viel nachdenken muss.“
    Nun knetete Pauli Brotkügelchen. Unsere Gäste langweilten sich.
    „Keine Sorge, dieser verfluchte Krieg nähert sich seinem Ende. Im September sind die Alliierten in Deutschland einmarschiert. Es ist nur noch eine Frage von Monaten.“
    „Wir können nichts tun außer zu warten. Vielleicht sollten auch wir anfangen zu stricken, mein lieber Gödel.“
    „Ich beschäftige mich lieber mit meiner eigenen Arbeit, Herr Einstein.“
    Unser Landsmann lächelte – wie ich sah auch er einen Logiker vor sich, der sich in seinen Stricknadeln verhedderte.
    „Was für ein Schwachsinn, dass das Land sich Ihre zwei Gehirne entgehen lässt, mit dem Argument, dass Sie deutsche Pässe haben!“
    „Wie das? Verdächtigt man Herrn Einstein, für die Nazis zu spionieren?“
    „Meine liebe gnädige Frau, das Verteidigungsministerium hat mich im

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