Die Göttin der kleinen Siege
leid. Ich war wie ein Kind in der Welt der Erwachsenen – ihr Universum war mir nicht zugänglich, es erklärte sich nicht durch ein einfaches Bild oder mit einer Reihe Kieselsteine. Ich hatte keine Worte, also weinte ich. Ich beweinte meine Einsamkeit. Aufgrund meines schlechten Englischs watete ich durch ständigen Nebel. Eine Zeit lang hatte ich gehofft, diese verschwommene, düstere Welt erhellen zu können, indem ich mit meinen Landsleuten verkehrte. Doch ich war noch immer verloren. Im Land der Wissenschaft gab es keine Einbürgerung, es gab nur Eingeborene. Dennoch bemühte ich mich. Ich las ein wenig, ich zeigte Interesse, doch jeder Faden, den ich zog, zog einen weiteren mit sich. Das Gewebe war zu dicht, das Tuch zu groß für die kleine Tänzerin. Ich würde niemals zu ihnen gehören, inmitten all dieser Genies wäre ich immer im Exil. Ich kam in das Alter, in dem die Männer von meiner Kochkunst mehr angetan waren als von meinen Beinen – das Alter der Resignation. Aber ich war nicht bereit aufzugeben, bei Weitem nicht.
Professor Einstein spuckte ein paar Kuchenkrümel in Richtung meines Mannes, der mit Bedacht sein warmes Wasser trank.
„Wie geht es Ihrem Freund Morgenstern? Ich dachte, ich würde ihn heute Abend hier antreffen.“
„Er ist mit der Veröffentlichung seines Buches zusammen mit von Neumann beansprucht. Auch er hat im Moment wenig Zeit.“
„Er ist wohl zu sehr damit beschäftigt, mit seinen Neutronen zu spielen.“
„Wofür interessiert von Neumann sich denn nicht? Dieser Mann ist ein Teufel. Er hört nie auf. Er trinkt so schnell, wie er auch rechnet.“
„Er ist Ungar, Herr Einstein.“
Ich langweilte mich. Ich hatte schon gehört, wie sie sich über die Schrullen dieses John von Neumann ausließen. Er stand im Ruf, ein gigantischer Witzbold zu sein. Als Einstein einmal nach New York fahren musste, hatte er ihm angeboten, ihn zum Bahnhof zu begleiten, und auf dem ganzen Weg hatte er ihm unablässig lustige Geschichten erzählt. Der alte Physiker hatte sich vor Lachen die Seiten gehalten, als er in den Zug einstieg – bevor er merkte, dass von Neumann ihn in vollem Bewusstsein in die falsche Richtung geschickt hatte! Kurt zufolge gab von Neumann ein katastrophales Beispiel für die Studenten ab, denn manche dachten irrtümlich, sie könnten wie er die Nacht trinkend im Tanzclub verbringen und am Morgen dann wieder frisch und aufgeräumt im Seminar erscheinen. Aber von Neumann war ein Übermensch. Kurt entsetzten vor allem die Mengen an Essen, die der Ungar sich einverleiben konnte. Seine Hyperaktivität ermüdete meinen Mann schon allein beim Gedanken daran. Ich hatte ihn bei unserer ehemaligen Nachbarin Missis Brown in der Stockton Street kennengelernt; sie zeichnete die Illustrationen für das Buch Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten , das von Neumann zusammen mit Oskar Morgenstern schrieb. Ich kümmerte mich um Missis Browns Baby, John von Neumann kümmerte sich um meine Nachbarin. Sein Appetit war grenzenlos. Kurt hatte mir erklärt, jener lege in seinem Buch dar, dass man mit entsprechenden Strategiespielen wie dem „Kriegsspiel“ sozioökonomische Phänomene beschreiben könne. Zu Kurts Bedauern war das ganze Gehirnschmalz – wieder einmal – einem militärischen Thema gewidmet. Die von Neumanns bewohnten ein hübsches Haus in Princeton, John war Berater der US Navy, und die Armee bezahlte gut.
Ich goss mir einen kleinen Wodka ein im Gedenken an meine verrückten ungarischen Freunde aus dem Nachtfalter . Der duftende Pfeifenqualm verschlimmerte mein Heimweh. Unter dem missbilligenden Blick meines Gatten zündete ich mir eine Zigarette an. Vor Kurzem hatte ich wieder mit dem Rauchen angefangen, um die Ödnis meines einsamen Alltags zu überwinden. Wenn Kurt nach Hause kam, schimpfte er über den Gestank, auch wenn ich den ganzen Tag lüftete. Meine übel riechenden Kleider nach einer Nacht im Nachtclub hatte er immer gehasst.
„Es wäre erstaunlich, wenn es für von Neumanns Arbeit nicht einen oder zwei Nobelpreise geben würde.“
„Von Neumann wäre ein großartiger Physiker – wenn er einer wäre, das heißt, wenn er Theorien beweisen würde.“
„Kein Neid, Pauli! Ihre Stunde wird schon noch schlagen.“
„Es fällt leicht, Ehrbezeigungen zu verachten, wenn man wie Sie mit Ruhm überschüttet wird.“
„Ich musste lange genug darauf warten. Innerhalb von zwölf Jahren war ich zehnmal nominiert gewesen. Es war ein jährlich
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