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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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Verdacht, Sozialist beziehungsweise Kommunist zu sein, was in seinen Augen eine ansteckende Krankheit ist. In seiner ausufernden Großzügigkeit hat die Marine mir erlaubt, zusammen mit meinem alten Freund Gamow ballistische Berechnungen bei Torpedos anzustellen.“
    Mein Mann verdrehte empört die Augen.
    „Sie sollten das nicht vertiefen, Herr Einstein. Wir werden sicherlich überwacht.“
    „Na, sollen sie mich doch überwachen! Ich habe das Originalmanuskript der Speziellen Relativitätstheorie versteigert, ich habe ihnen sechs Millionen Dollar gegeben. Hitler hasst mich mehr als seine eigene Mutter. Ich habe persönlich an Roosevelt geschrieben und ihm die unabdingbare Notwendigkeit nuklearer Forschungen nahegelegt. Und nun verdächtigen sie mich? Welch eine Ironie!“
    „Reden Sie nicht so laut!“
    „Was können sie mir anhaben, Gödel?“
    „Sie könnten von feindlichen Agenten entführt werden. Haben Sie daran nie gedacht?“
    Einstein schlug sich auf die Schenkel, als hätte er einen guten Witz gehört.
    „Sie sollten Spionageromane schreiben! Wer sollte mich entführen – so gut überwacht, wie ich bin? Selbst wenn ich Prostataprobleme hätte, wäre FBI-Direktor John Edgar Hoover darüber informiert. Sie haben viel zu viel Angst, dass ich mich öffentlich gegen den Einsatz dieser verdammten Bombe äußern könnte. Und Roosevelts Wiederwahl beruhigt mich kaum.“
    „Es ist mitnichten gesagt, dass die Nukleartechnik in nächster Zeit beherrscht werden kann.“
    „Lieber Gödel, Ihre Naivität ist erfrischend wie ein Sonnenstrahl! Glauben Sie mir, die Bombe ist bereit. Haben Sie sich in letzter Zeit nicht ein wenig einsam gefühlt in Princeton? Die Armee hat die Koryphäen des Instituts rekrutiert. Robert Oppenheimer ist aus dem Verkehr gezogen worden. John von Neumann ist zu einem einschlägigen Namen geworden. 13 Man muss nicht Gott sein, um zu erraten, was sie machen – um die Technik voranzutreiben, gibt es nichts Besseres als einen schönen, kleinen Krieg.“
    „Militärische Übermacht ist der Schlüssel zum Frieden.“
    „Ihren Optimismus möchte ich haben, Pauli! Allein die Idee der Abschreckung läuft dem militärischen Gedanken zuwider. Wenn einer mit Vergnügen in Reih und Glied zu einer Musik marschieren kann, dann verachte ich ihn schon; er hat sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon völlig genügen würde. Man kann die Militärs nicht um ihr neues Spielzeug bringen. Das wäre so, als würde man ein Geschenk eingepackt unter dem Weihnachtsbaum stehen lassen.“
    „Sie selbst haben anfangs diese Arbeiten begleitet.“
    „Und das unter einem schrecklichen inneren Zwang! Ich bin überzeugter Pazifist. Aber die grauenerregenden Augenzeugenberichte aus Europa zwangen mich zum Umdenken. Wenn Hitler diese Bombe in die Hände bekäme, würde es keinen geben, der ihn daran hindern könnte, sie auch einzusetzen.“
    Mit der Messerspitze schnitzte Pauli an dem Brotkügelchen herum, das schon ganz grau geworden war.
    „Dieser Irre hat alle namhaften Wissenschaftler in die Flucht geschlagen. Indem er die ‚jüdische‘ Wissenschaft verfolgt hat, hat er den faulen Ast abgesägt, auf dem er selbst sitzt.“
    „Sie machen meiner Frau Angst, Herr Einstein. All dieses Grauen werden wir bald hinter uns haben.“
    Einstein wischte sich den Mund ab und tätschelte seinen Bauch, bevor er die Serviette auf den Tisch warf.
    „In der Geschichte der modernen Zivilisation hat es noch nie eine solch schwarze Zukunft gegeben. Denn ganz sicher werden andere Konflikte kommen – der Krieg ist das Krebsgeschwür der Menschheit.“
    Die Männer schwiegen. Ich hatte Tränen in den Augen. „Bald ist der Krieg vorbei“ – etwas anderes konnte ich nicht hören. Und wenn er vorbei wäre, könnte ich nach Hause gehen. Pauli stellte die Brotskulptur vor sich auf den Tisch. An ihren Hinterkopf klebte er einen Wachstropfen, den er vom Tischtuch gekratzt hatte: der heilige Einstein, Schutzpatron der Pessimisten. Die Statue lächelte ihm zu.
    „Tut mir leid, Adele, ich lasse mich zu schnell hinreißen. Was haben Sie als süßen Abschluss geplant?“
    „Sachertorte.“
    „ Masseltoff – da haben wir ja Glück! Darf ich meine Pfeife anzünden? Meine alte Freundin bringt mich auf sanftere Gedanken.“
    Ich ging in meine Küche. Unweigerlich waren mir die Tränen gekommen. Bestimmt dachten sie, ich sorgte mich um die Zukunft der Menschheit, aber in Wirklichkeit tat ich mir selber

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