Die Göttin der kleinen Siege
Sie in meinem Haus empfangen zu dürfen!“
„Ach! Noch eine Bewunderin!“
„Kurt will mir Ihre Arbeiten nicht erläutern. Er meint, ich würde es sowieso nicht begreifen.“
Mein Mann sah mich mit großen Augen an. Ich war nicht derartig eingeschüchtert, weil ich das größte Genie des 20. Jahrhunderts zu Tisch hatte. Ich wusste, dass Albert für Schmeicheleien unempfänglich war, dennoch befolgte ich meine Methode: die Männer über ihre Arbeit oder über ihre sportlichen Leistungen reden lassen. Bei den Anwesenden musste ich gar nicht zwischen diesen beiden Optionen wählen. Albert blickte mich belustigt an. Er deutete mit der Gabel auf meinen Mann.
„Das ist nicht fair, Gödel! Ich musste Ihre Arbeit schon so manches Mal darlegen und habe dabei Blut und Wasser geschwitzt.“
„Entschuldigen Sie bitte die Unhöflichkeit meiner Frau, Herr Einstein. Adele ist mitunter gedankenlos. Sie hat keinerlei wissenschaftliche Kenntnisse. Dass sie immer ihre Nase hineinstecken will, ermüdet mich.“
„Ist doch ein hübsches Näschen! Zudem wird Adele die Grundzüge der Relativitätstheorie zweifellos schneller erlernen als ich das Kochen.“
Pauli zog zweifelnd eine Augenbraue hoch.
„Bestimmte Gebiete erlauben keine Vereinfachung.“
Einstein erstickte den Einwand mit einem Stück Schnitzel.
„Wenn Sie wollen, dass ich Ihnen die Spezielle Relativitätstheorie konzise darlege – ich bin daran gewöhnt. In dreißig Jahren habe ich eine sehr klare Antwort destilliert.“
Er machte eine Kunstpause – seine beiden Kollegen verharrten mit dem Besteck in der Hand.
„Würden Sie mich mit Wolfgang allein zu zweit lassen, würde mir dieses Essen wie eine Ewigkeit vorkommen. Allein mit Ihnen aber, Adele, käme es mir vor wie eine Minute. So, das ist Relativität.“
Dieses Mal seufzte der junge Physiker rückhaltlos. Einstein bedachte ihn mit einem kumpelhaften Schlag auf den Rücken.
„Um ganz ehrlich zu Ihnen zu sein, gnädige Frau – ich könnte Ihnen die Relativität in einfachen Begriffen erklären, aber Sie würden Jahre brauchen, um sie zu begreifen und um die Grundlagen zu beherrschen, auf denen sie baut.“
Pauli massierte seine malträtierte Schulter.
„Alle Welt meint heutzutage, die Relativitätstheorie zu kennen. Es schadet der Wissenschaft, wenn man zu viel popularisiert.“
„Immer mit der Ruhe, mein lieber Zweistein“ – das war Paulis Spitzname. „Sie kommen schon noch an die Reihe. Eines Tages werden auch Sie von ganzen Horden ekstatischer Studentinnen bestürmt. Sind Sie auf so viel Ruhm vorbereitet? Wie würden Sie Ihr Ausschließungsprinzip einem Schüler erklären?“
„Ich würde mich schlicht und ergreifend weigern.“
„Wenn Sie einem sechsjährigen Kind einen Begriff nicht erklären können, dann weil Sie ihn selbst nicht zur Gänze begriffen haben.“
„Sie sollten wieder auf vegetarische Nahrung zurückgreifen, Herr Einstein. Zu viel Fleisch trübt Ihren Geist.“
„Ich verlange ja gar nicht, dass Sie ins Detail gehen, Pauli. Ich stelle nur fest, dass Sie als junger, schlauer Fuchs in der Quantenmechanik nicht in der Lage sind, Ihr Konzept sinnlich wahrnehmbar zu machen, indem Sie dafür eine objektive Abbildung in der erfahrbaren Realität liefern.“
„Sie sind böswillig, Herr Einstein. Dass man eine Theorie auf einfache Begriffe reduzieren kann, war noch nie ein Beweis für ihre Gültigkeit.“
„Das Verhalten Ihrer Elementarteilchen ist und bleibt so chaotisch wie das einer Meute Frauen beim Schlussverkauf im Kaufhaus Barney’s – wenn Letztere auch berechenbarer sind. In diesem Russischen Salat aus Komplexität und Zufall sehe ich keinerlei Kohärenz. Meiner Ansicht nach ist Gott scharfsinnig, boshaft aber ist er nicht.“
„Noch wäre seine Existenz zu beweisen.“
„Fragen Sie Doktor Gödel. Das ist sein Steckenpferd.“
Kurt biss die Kiefer zusammen und schob seine Hungerration von sich.
„Diesen Anspruch habe ich nicht. Alle würden mich für einen Erleuchteten halten.“
Pauli aß seinen Teller leer, dann legte er geräuschlos sein Besteck darauf ab. Wir warteten auf die Gegenoffensive.
„Mein lieber Einstein, wir sollten unsere Gastgeberin nicht als Geisel unserer Querelen nehmen. Sie wird mir verzeihen, wenn ich davon absehe, ihr zu antworten oder die Klinge mit Ihnen zu kreuzen. Dem bin ich nicht gewachsen.“
„Na, na, Pauli, um sich bescheiden zu geben, sind Sie nicht gut genug.“
Ein Engel aus Blei schwebte über dem Tisch.
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