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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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Sandkasten für die Armee geworden. Der nächste Institutsdirektor wird sicherlich ein treuer Diener des Staates sein.“
    „Ich werde Oppenheimers Kandidatur unterstützen. Robert ist offen für humanitäre Ideen.“
    „Und auch für linksradikales Gedankengut?“
    „Seien Sie nicht so engstirnig, Pauli. Ich denke an eine Öffnung des IAS für andere Forschungsgebiete.“
    „Glauben Sie, die neue Leitung wird die Stelle meines Mannes infrage stellen? Er ist noch immer kein ständiges Mitglied des Instituts und noch immer kein amerikanischer Staatsbürger. Sein Status ist prekär.“
    „Solange Carl Ludwig Siegel im Kuratorium sitzt, wird sich an der Situation Ihres Gatten nichts ändern, teure Freundin.“
    „Er und andere sorgen sich also wegen Kurts geistiger Gesundheit? Aber Sie wissen doch, dass er ganz harmlos ist.“
    „Wie geht es ihm denn zurzeit?“
    „Er klagt unablässig. Er sagt, er habe ein Magengeschwür. Aber er weigert sich, zum Arzt zu gehen.“
    Einstein tätschelte meine Hand.
    „Äußerste Klarheit, Scharfsicht und Sicherheit verlangen größte Opfer – den Verlust der Sicht auf das Ganze. Es ist bestimmt nicht immer leicht für Sie, aber glauben Sie mir, Sie sind Teil dieses Ganzen.“
    Ich vergewisserte mich, dass Kurt nicht vom Flur aus lauschte. Er hätte das, was allgemein bekannt war, als persönlichen Verrat deuten können. Ich hatte Vertrauen zu Albert Einstein, er urteilte nicht über meinen Mann.
    „Er hat wieder Visionen. Er hat den Eindruck, er werde verfolgt.“
    „Vielleicht wird er das ja. Auch ich stehe unter ständiger Überwachung. Meine Post wird zensiert.“
    „Darum geht es nicht – er sieht Gestalten, Gespenster.“
    „Die Stimmung in Princeton ist momentan etwas gedrückt. Der Krieg geht dem Ende zu, und bald werden Sie gute Neuigkeiten von Ihrer Familie und aus der Welt bekommen, die Kurt Gödel zu würdigen weiß. Alles wird gut.“
    „So naiv bin ich nicht. Das habe ich alles schon hinter mir. Aber in Amerika habe ich weder Freunde noch Verwandte, die mir helfen können.“
    „Ihr Mann hat zahlreiche Freunde, zweifeln Sie nicht daran. Menschen wie ihn trifft man selten. Morgenstern kümmert sich wie ein Bruder um ihn. Und ich werde mein Möglichstes tun, um Ihre materielle Situation zu verbessern. Verlieren Sie nicht das Vertrauen. Es tut mir leid, dass ich Spannungen bei Tisch verursacht habe. Wolfgang kennt mich gut, er weiß, dass ich keine bösen Absichten hege.“
    „Der Professor hat nur gute Unabsichten.“
    Kurt kam wieder zurück, ich schenkte ihm ein beruhigendes, breites Lächeln.
    „Wollen wir noch irgendwo etwas trinken gehen?“
    Beide Männer standen auf, mein Vorschlag war abgelehnt. Kurt verschwand ohne großes Aufhebens und überließ es mir, mich von unseren Gästen zu verabschieden. Sie überhäuften mich mit Dankesworten, dann gingen sie Arm in Arm weg – der versöhnliche Moment des gemeinsamen Verdauungsspaziergangs. Ich öffnete wieder die Fenster, um den Rauch und den Geruch angebrannten Fettes hinauszulassen. Ich räumte den Tisch ab und leerte den Aschenbecher. Mit der flachen Hand zerdrückte ich die Brotplastik. „Zahlreiche Freunde“ – Oskar Morgenstern war zu höflich, um mir seine Verachtung zu zeigen. Dass wir geheiratet hatten, war ihm, bestenfalls, ein Rätsel. Die Herren taten sich gern an meinen Kochkünsten gütlich, aber von meinen Ängsten wollten sie nichts hören. Mein Mann hatte zahlreiche Freunde – ja, sicher – aber ich? Ich drückte die Kerzen aus, ohne meine Finger zu benetzen, ich mochte diesen kleinen Schmerz. Die Spüle war voller Geschirr, ich machte mich über den Berg her, ohne mich um den Lärm zu scheren. Die Schlafzimmertür antwortete mit einem scharfen Knall auf meine Provokation. Nach getaner Arbeit gönnte ich mir eine Zigarette. Irgendwo in New York rauchte eine Frau in meinem Alter auch eine Zigarette, während ihr Nagellack trocknete. Sie überlegte, was sie anziehen sollte, wenn sie zum Tanz ins El Morocco ging. Sie konnte sich nicht zwischen zwei Paar Schuhen entscheiden.
    Nacheinander wurden die Fenster in der Stadt dunkel. In Princeton ging man früh schlafen. Doch ich war nicht müde.

29.
    Anna fuhr früh von Princeton nach Pine Run , sie war fest entschlossen, das Gespräch wieder in professionellere Bahnen zu lenken. Auf der Fahrt verspürte sie ein altbekanntes Gefühl im Bauch – sie war aufgeregt. Sie betrachtete sich im Rückspiegel und wischte das viele Rouge ab; sie

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