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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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verachten.«
    »Wenn sie die Heilige Hochzeit mit euch feiert, wird ihr sicher geholfen«, meinte Haibe.
    »Die Heilige Hochzeit!« Die alte Tante brach in trockenes Kichern aus. »Du glaubst doch nicht, daß eine Frau der Söhne des Himmels an einem solchen Fest teilnehmen könnte! Nächtelang wegbleiben! Mit einem anderen Mann als ihrem eigenen Hochzeit feiern!
    Es wäre ihr sicherer Tod.
    Nichts ist einem Sohn des Himmels wichtiger, als daß kein anderer als er selbst mit seiner Frau das Lager teilt!«
    »Ja dann –«, murmelte Haibe hilflos.
    Die Hofbäuerin erhob sich. »Lassen wir das! Ich werde eine Möglichkeit finden, mit Agala zu reden. Ich werde sie fragen, ob sie etwas über Frauen aus dem Westen gehört hat. Bei Rösos und Krugor gehen viele Herren, Krieger und Priester aus und ein. Gut möglich, daß Agala aus ihren Gesprächen einiges über den Kriegszug weiß. Doch jetzt laßt uns ins Haus gehen, es wird Zeit für das Essen!«
    Haibe umarmte die Hofbäuerin. Endlich eine Hoffnung. Nach und nach fand sich die ganze Familie im Haus um die Feuerstelle ein: ein Bruder und ein Vetter der Hofbäuerin, eine Kusine mit ihren beiden kleinen Kindern, Otru sowie ein junges Mädchen und ein kleiner Junge, die Wai als ihre weiteren Geschwister vorstellte.
    Die Erwachsenen hießen Haibe mit der größten Selbstverständlichkeit willkommen, die Kinder lächelten ihr schüchtern zu.
    Die Hofbäuerin begann ein Lied zu singen, alle anderen stimmten ein. Haibe sang mit. Unzählige Male hatte sie selbst dieses Lied angestimmt, hatte als Kind gehört, wie die Mutter es angestimmt hatte. Sie war nicht mehr als Fremde im Land der Söhne des Himmels. Sie war daheim.
    Als Wai den Breitopf vom Feuer zog und die Hofbäuerin das Brot brach, sagte Haibe: »Ich danke herzlich für die freundliche Aufnahme. Möge immer der Segen der Göttin über diesem Hause sein, so wie er es jetzt ist.« Und dann zur Hofbäuerin gewandt: »Wie froh du sein kannst um solche Söhne und Töchter!«
    Das Gesicht der Hofbäuerin verdunkelte sich. »Ja, das bin ich. Aber um den einen, um meinen Stimu, weine ich jede Nacht.«
    Haibe fragte: »Was ist mit ihm?«
    »Krugor, unser junger Herr, hat ihn uns weggenommen! Ihn und alle Jungen seines Alters aus unserem Dorf. Er – er zwingt sie, Wolfskrieger zu werden.«
    Haibe fuhr sich mit der Hand ans Herz.
    »Manchmal denke ich, es wäre für Stimu besser, er wäre tot«, flüsterte die Hofbäuerin.
    »Mutter«, rief Otru aus, »was redest du! Wie kannst du Stimu den Tod wünschen! Er ist noch immer mein Bruder!
    Und sieh es doch auch einmal anders! Mit Stimu wird eine neue Zeit anbrechen. Er wird nicht mehr der verachtete Knecht sein!
    Ihm wird es besser ergehen als dem Oheim und mir!« »Besser?« fragte die Bäuerin heftig. »Bei dem, was sie ihm antun?«
    »Versteh doch, Mutter«, Otru beugte sich vor und legte die Hand auf die seiner Mutter, »Stimu wird einmal an den Herrenhöfen ein und aus gehen, mit den Herren beim Mahl sitzen, von gleich zu gleich mit ihnen sprechen und handeln! Er wird einer von ihnen sein und trotzdem einer von uns!
    Die Zeiten werden besser werden, es wird sie nicht mehr geben, diese unüberbrückbare Kluft, die Hände werden wir einander reichen, wir Männer vom Alten Volk und die Söhne des Himmels! Brüder werden wir sein!
    Ich wollte, ich wäre jünger, und Krugor hätte mich statt Stimu zum Wolfskrieger ausgewählt. Ich hätte das schon ausgehalten.
    Und ich hätte unter Beweis gestellt, daß auch wir vom Alten Volk Heldenmut haben!«
    Ein tiefes Schweigen folgte diesen Worten.
    In das Schweigen hinein sagte Wai: »Heldenmut! Bewunderst du die Wolfskrieger etwa?! Was du da redest, Otru, widert mich an!«
    Otru fuhr zu ihr herum. »Ach ja? Wenn du glaubst, daß du mich beleidigen kannst mit deinen Ansichten von vorgestern, so hast du dich getäuscht!
    Wir leben nicht mehr in der Zeit unserer Urahnen, geht das nicht in deinen Kopf? Wir müssen uns anpassen, oder wir werden zugrunde gehen! Und was mich betrifft – ich finde manches gar nicht so übel, was wir von den Herren lernen könnten.
    Reiten – das täte ich auch gerne. Was für ein freies Leben, auf dem Rücken eines Pferdes eine große Herde hüten ...«
    »Und daheim Befehle erteilen und sich von Frau und Nebenfrau bedienen lassen und Frauen und Kinder verprügeln und hin und wieder ein Mädchen vergewaltigen«, fiel ihm Wai ins Wort.
    Otru sprang auf. »Das ist bösartig, Wai, und das weißt du genau! Ich

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