Die Göttin im Stein
sprang vom Baum und huschte eilig davon.
Die Hunde bellten, kamen immer näher. Schon hörte sie ihr heißes Hecheln.
Sie brach durch den Wald. Nasse Zweige peitschten ihr ins Gesicht. Der Regen strömte auf sie herab. Ihr Atem keuchte.
Vor
ihr lief Naki. Nakis Arme teilten das Gebüsch. Nakis nackte Füße traten achtlos Äste, Brennesseln und Dornengestrüpp nieder.
Plötzlich war da das Moor. Wollgrasbüschel, Tümpel, Torfmoos –
Naki rannte.
»Naki«, schrie sie, »nicht, nein!«
Naki hörte nicht. Naki rannte.
Wütendes Knurren hinter sich. Nicht umdrehen. Fangzähne schlugen sich in ihr Bein. Sie stürzte, kroch weiter, zog den Hund mit sich, verbissen in ihrem Fleisch. »Mutter!« schrie Naki. »Hilf mir!«
Die Hunde waren über Haibe, zerrten an ihrem Kittel. Sie schlug um sich, kämpfte. Ich muß zu meiner Tochter.
Naki im
Moor,
die Augen angstvoll aufgerissen, die nassen Haare wirr im Gesicht.
Naki sank ein. Bis zur Hüfte, zur Brust, zum Hals. »Warum hilfst du mir nicht!« schrie Naki.
Endlich hatte sie die Hunde abgeschüttelt, taumelte vorwärts, weicher, schwankender Boden, sie lief und lief, kam nicht vom Fleck, kam Naki nicht näher.
Mein Fuß, fiel ihr ein, ich kann nicht laufen, mein Fuß ist zertrümmert.
Sie streckte die Arme vor, konnte Naki nicht erreichen. Nakis Gesicht zwischen den Wollgrasbüscheln. Tiefer sank es und tiefer.
Braunes Wasser schoß in Nakis Mund, erstickte gurgelnd ihren Schrei.
Braunes Wasser schloß Nakis Augen.
Luftblasen stiegen auf.
Das Torfmoos bedeckte die Wunde im Moor.
Nakis Haar wie gesponnener Flachs auf dem trügerischen Grün.
Haibe fuhr auf. Sie stieß sich den Kopf an taunassen Zweigen.
Naki im Moor. Ertrunken.
Ein Traum, weiter nichts. Ich bin eine Bäuerin, keine Priesterin. Ich habe nicht mehr die Gabe des Sehens wie im Grab.
Mit klammen Händen zog Haibe den Mantel dichter um die Schultern, zog die Knie an und kauerte sich wieder zusammen.
Dunkel war es im Wald. Noch immer wollte die Nacht nicht enden. Über dem Moor sangen die Geister.
Warum hilfst du mir nicht ...
O Naki, Naki, ich will dir doch helfen! Ich habe es versucht, immer wieder.
Aber ich habe alles verdorben.
Die selbstverständliche Gastlichkeit der Bauernfamilie in einem der Dörfer, die zum Königshof gehörten. Nach dem gemeinsamen Essen begann sie von dem Überfall auf ihr Dorf, von der Entführung der Frauen und Mädchen, von ihrer verzweifelten Suche zu erzählen.
Die anderen schwiegen.
Sie schloß: »Und nun habe ich Hinweise darauf, daß viele der Frauen hier am Königshof gefangengehalten werden. Vielleicht auch meine Tochter!«
»Davon wissen wir nichts«, sagte der Bauer. Auf einmal war seine Stimme abwehrend, fast feindselig.
Schweigen.
»Aber, da ist doch . . .«, widersprach ein junges Mädchen. Die Bäuerin fuhr ihm über den Mund: »Sei still! Red nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst!«
Das Mädchen verstummte.
Die Bäuerin legte geschäftig Holz auf das gut genährte Feuer und blies in die lodernden Flammen.
»Unser König ist ein mächtiger Herr«, sagte sie, ohne aufzusehen. »Er bricht nie sein Wort. Er ist streng, verlangt unbedingten Gehorsam und Treue. Aber wir leben unter seinem Schutz und Schirm sicher vor jedem Übergriff – auch wir Frauen.«
Der Bauer erhob sich. »Du solltest deine Suche anderswo fortsetzen, Haibe!
Wir
gewähren dir gerne Gastfreundschaft, wie es die alte Ordnung verlangt. Aber wenn du gehen mußt, wollen wir dich nicht aufhalten!«
Naki, so oder ähnlich ging es mir überall, wo ich versucht habe, etwas über die Frauen am Königshof in Erfahrung zu bringen.
Es war wie eine unsichtbare Palisade, die den Königshof umgab – wirkungsvoller als die hölzerne. Ich habe mir den Kopf daran eingerannt.
Wie einfältig ich war, daß ich geglaubt hatte, jeder aus den Bauernfamilien des Alten Volkes würde mir helfen!
Nur einmal hat ein junges Mädchen mir zugeflüstert, sie habe davon gehört, ihr würdet im Webhaus gefangengehalten.
Naki, ich habe mich so sehr bemüht, zu euch zu gelangen, euch eine Botschaft zu senden, wenigstens zu erfahren, ob du unter den Gefangenen bist.
Es war unmöglich.
Die bereit gewesen wären, mir zu helfen, wußten nichts. Und die etwas wußten, waren nicht bereit, mir zu helfen. Die letzte Bauernfamilie, bei der ich Aufnahme gefunden
habe, in dem Weiler am Weg zum Königshof, nur durch die
weite Wiese von diesem getrennt.
Klug geworden, hatte ich den Grund meines
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