Die Göttin im Stein
frei!«
Frei?
Gehen dürfen?
Ihn nie mehr fürchten müssen?
Sie schloß die Augen.
Ein Taumel erfaßte sie, sie zitterte, weinte auf einmal, »Danke, Herr«, schluchzte sie, »ich Euch danke!« Worte, zu denen sie sich so oft hatte zwingen müssen, nun kamen sie von selbst.
Wirrkon, du und ich, nun wird alles gut.
Wirrkon an Lykos Schulter drehte sich zu ihr um, strebte ihr entgegen, verzog sein Gesicht.
»Mir meinen Sohn gebt jetzt?« bat sie und streckte die Hände aus.
Lykos trat einen Schritt zurück. »Deinen Sohn?« wiederholte er. »Aber es ist mein Sohn! Ich bin gekommen, meine Vaterpflichten zu erfüllen!«
»Vaterpflichten erfüllen?« stammelte sie die sinnlosen Worte nach. Mit einem Mal schnürte ihr wieder Furcht die Kehle zu.
Etwas in ihr ahnte, was geschehen würde. Aber sie weigerte sich es zu denken.
Lykos sprach weiter. Sie hörte ihn fern und unwirklich, wie durch eine Nebelwand, hörte Leles entsetzten Aufschrei –
Leles Stimme zitterte: »Er sagt, ein Sohn gehört zu seinem Vater – er sagt, er wird ihn erziehen, wie es sich für einen Sohn des Himmels gehört – er sagt, er ist gekommen, um seinen Sohn an seinen Hof zu holen –« Lele flüsterte nur noch: »Er sagt, es ist sein Recht und seine Pflicht!«
Es ist nicht wahr.
Langsam machte Naki einen Schritt auf Lykos zu. Dieser stieß sie zurück.
Da endlich machte sich ihr Entsetzen Luft, und sie schrie, ohne daran zu denken, daß er ihre Sprache nicht verstand: »Das könnt Ihr nicht tun! Wirrkon braucht mich! Ihr dürft mir meinen Sohn nicht wegnehmen! Gebt ihn mir zurück, gebt ihn mir ...«
Sie schrie noch, als er schon aus dem Haus gegangen war, Wirrkon auf dem Arm.
Lele schleuderte einen wilden Fluch hinter ihm her.
Naki aber starrte die Tür an, durch die Lykos mit Wirrkon verschwunden war. Ihre Beine schienen im Erdboden verankert zu sein.
Lele legte die Arme um Naki.
Da riß Naki sich los und rannte hinter Lykos her.
Er war bereits auf sein Pferd gestiegen.
Sie sprang dem Hengst in den Weg, umklammerte Lykos' Beine. »Herr«, bettelte sie, sie mühte sich in seiner Sprache, Tränen liefen ihr übers Gesicht, »Herr, bitte! Alles ich tu', alles. Laßt mir Wirrkon! Meinen Sohn, mein Kind –«
Einen Augenblick zögerte er. Einen Augenblick blitzte etwas wie Mitleid in seinem Blick auf. Einen Augenblick sah es aus, als wolle er ihrem Flehen nachgeben.
Doch dann schüttelte er sie ab, stieß die Fersen in die Flanken des Pferdes und ritt mit Wirrkon davon.
Moria beugte sich über das Bett. Lykos hatte es anfertigen lassen. Einen breiten Kasten. Zu breit für eine Person allein.
»Sahir, füll noch einen Bund Stroh in das Bett der Königstochter!«
Unmöglich, die andere bei Namen zu nennen, »Briseia«. Oder gar: »Zweitfrau«.
»Sofort, Herrin!« Sahir lief aus dem Haus.
Moria wandte sich zur Truhe, ließ sich schwerfällig auf die Knie nieder und öffnete den wuchtigen Deckel, bemüht, sich dabei gerade zu halten, um den Rückenschmerzen zu entgehen. Ihr Bauch war gewölbt, als stehe die Niederkunft kurz bevor. Dabei mußten noch mehr als zwei Monde vergehen.
Sie ließ die Tücher durch die Finger gleiten. Dichte Woll- und Leinenstoffe, von ihr selbst, ihrer Mutter und den Mägden daheim gesponnen, gewebt und gefärbt.
Nie hätte sie daran gedacht, daß sie mit einem dieser Stoffe einmal das Lager einer anderen bereiten müßte.
Moria wählte ein besonders ebenmäßiges Leinentuch. Das hatte die Mutter gewebt. Darüber konnte die Königstochter nicht die Nase rümpfen.
Sie konnte gut spinnen und weben, die Königstochter. Der Mantel, den sie Lykos als Gegengabe für den Bernsteinschmuck geschickt hatte, war ein Meisterwerk. Sosehr Moria auch gesucht hatte, sie hatte keinen Fehler daran gefunden, nicht die kleinste Unregelmäßigkeit.
Morgen würde Lykos ihn tragen. Morgen, wenn er aufbrach, um die Königstochter zu holen.
Er hatte befohlen, bereits vorher alles für deren Ankunft vorzubereiten. Er hatte befohlen, dieses Bett hier zu richten. Er hatte befohlen, daß in drei Tagen, wenn er mit ihr zurücckehren würde, der ganze Hof mit Blumen und grünen Girlanden geschmückt zu sein habe. Und er hatte ein Festmahl befohlen, wie es noch nie dagewesen war.
Er hatte befohlen, er hatte befohlen –
Und bei jedem Befehl hatte er sie angesehen, auf diese Art, mit einem Blick aus leicht verengten Augen, der ihren Blick in die Knie zwang–
Jedesmal erinnerte er sie mit diesem Blick daran, daß sie
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