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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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Wirrkon, ich nenne ihn nicht so, aus Vorsicht, ich nenne ihn Ri, aber er ist es, Nakis Sohn.«
    Ein kleiner Junge lugte hinter dem Rock der jungen Frau hervor, den Zeigefinger im Mund. Dann nahm er den Finger aus dem Mund und lächelte Haibe zu.
    Braune Locken und braune Augen. Hohe Wangenknochen.
    Aber das Lächeln des kleinen Rablu. Und Nakis Grübchen im Kinn.
    Haibe zog die Beine aus dem Moor, wandte sich um, kniete auf dem Bohlenweg nieder und schloß den kleinen Jungen in die Arme.
    Seine Haare kitzelten an ihrem Ohr.
    Sie drückte ihn fest an sich.
    Er sträubte sich, strebte zu Fasne zurück.
    Diese kauerte sich hin, zog ihn auf ihr Knie. »Das ist deine Großmutter, Ri«, sagte sie sanft. »Gib ihr einen Kuß!«
    Der kleine Junge betrachtete Haibe mit gerunzelter Stirn. Dann beugte er sich vom Knie der jungen Frau herab vor und drückte Haibe einen nassen Kuß auf die Wange.
    Göttin, du bist die wilde Bärin, die mit Pranken und Reißzähnen ihr Junges verteidigt, wer sagt, du bist tot?
    »Lele hat ihn nach dem Brand des Herrenhofes in der Laubscheuer gefunden, in die Irrkru Naki zu ihrem Schutz gelockt hatte, Lele war außer sich vor Schmerz und Schuldgefühl, als Naki gestorben war, mir hat sie den Jungen gebracht, mich die furchtbarsten Eide schwören lassen, für ihn zu sorgen, ihn zu schützen und ihn dir wohlbehalten zu übergeben, und dann hat sie sich wie eine Rasende in den Kampf gestürzt. Sie war eine Heldin, die arme Lele.«
    Haibe streckte langsam die Hand aus, fuhr dem kleinen Jungen von der Stirn über Nasenwurzel, Nase und Lippen bis zum Grübchen, ihr Finger erkannte die Linie wieder.
    »Ri«, sagte sie leise, »Ri-Wirrkon.«
    Der kleine Junge wandte sich ab, barg sein Gesicht an Fasnes Brust, zupfte ungeduldig an deren Kittel. Fasne lächelte Haibe zu und öffnete die Kleidung. Der Kleine griff sich ihre Brust und begann zu trinken, wandte dabei hin und wieder den Kopf zu Haibe zurück, sah sie an, trank weiter.
    »Du wirst ihn mitnehmen in eure neue Heimat, von der Lele mir erzählt hat?« fragte Fasne leise.
    »Er braucht dich«, erwiderte Haibe ebenso. »Dich mehr als mich.«
    »Er braucht uns beide.«
    Schweigen.
    Zirrkan, das Haus, das du uns gebaut hast, wie du sagtest, es sei groß genug für Gwinne, Mulai und Uori, für Naki und mich und alle Kinder, die wir Frauen noch bekommen würden, deine Augen streichelten dabei meinen Leib, diese Hoffnung, ein Haus voller Leben ...
    Aber Naki ist tot.
    »Ich bin ganz allein mit den Kindern, meiner Tante und meinem kleinen Bruder«, sagte Fasne. »Keinen großen Bruder und keinen Mann mehr. Kein Haus, nur eine windige Hütte. Kaum Getreide für den Winter, nur die Früchte aus dem Wald, die wir gesammelt haben. Keine Hoffnung mehr hier. Nichts, was uns hält.
    Moria, die Herrin, hat uns über das vergangene Jahr geholfen, gesegnet sei sie dafür! Ohne sie wären wir im letzten Winter alle verhungert, auch Ri. Aber nun steht wieder ein Winter bevor.
    Weißt du, es gab nur eines, was mich aufrechterhalten hat, was mich bei der Vorstellung an den nächsten Winter nicht hat verzweifeln lassen: daß du kommen und uns mitnehmen wirst. In deine neue Heimat.«
    Haibe erhob sich. »Worauf warten wir noch! Packt eure Vorräte und Kleidung und kommt! Damit wir noch vor den Winterstürmen über die Meerengen setzen können!«
     

20
    Die kleine Ria spielte im Schnee. Auf allen vieren kroch sie den zusammengeschippten Schneehaufen hinauf, rutschte ihn mit lautem Juchzen hinunter und kletterte wieder hinauf. Ihre Backen glühten. Moria spürte das Strahlen auf ihrem eigenen Gesicht, diese leuchtende Wärme und das glückliche Staunen, die aus dem Inneren drangen: Das ist meine Tochter. Ich habe sie geboren. Und wenn ich nichts weiter vollbracht hätte – allein dafür schon hätte sich mein Leben gelohnt.
    »Wie ein Bub!« Noedia schüttelte mißbilligend den Kopf, aber ihre Augen hingen voll Rührung an dem zierlichen Mädchen.
    Moria lächelte. »Sie ist doch noch so klein!«
    »Trotzdem. Wenn erst der Herr wieder am Hof ist. Ihr wißt ja: Mädchen darf man nicht hören!«
    »Schon gut, Noedia!«
    Meine Kleine. Ich weiß, daß du anders bist, als es sich für das Töchterchen eines Herrn gehört. Aber du bist vollkommen.
    Ria brüllte. Ihr Köpfchen lief vor Anstrengung dunkelrot an. Ihr ganzer Körper schien in Aufruhr, stemmte sich gegen die ungewohnten Wickelbänder, mit denen sie auf das starre Wickelkissen geschnürt war.
    »Das kommt davon«,

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