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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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lehren, daß ich ihr Herr bin, das schwöre ich bei meinem Bart.
    Es wird Zeit, daß dieser Krieg zu Ende geht.
    Bernsteinbär, wenn ich dich heute aufspüre –
    Sie erreichten den Waldrand, tauchten zwischen den Bäumen ein.
    Und augenblicklich spürte Lykos die Gefahr.
    Kein Gedanke mehr, nur noch gespannte Aufmerksamkeit.
    Die feinen Haare in seinem Nacken sträubten sich wie das Fell eines Raubtieres. Der Körper gespannt wie ein Bogen zum Abschuß. Das Gehör geschärft. Die Augen überall.
    Die Düsterkeit des Regentages machte es schwer, Einzelheiten zu erkennen. Dicke Stämme kahler Bäume, ein Wirrwarr von dichtem Unterholz, Dornenhecken und braunem Krautzeug, umgestürzte Baumriesen und aufgeworfene Wurzelstöcke und – gefahrvoller als alles – langgestreckte, mehr als mannshohe Moränen, die den ganzen Wald durchzogen.
    Schlupfwinkel wie Sand in der Heide.
    Er hob die Hand, gab den Kriegern das Zeichen für höchste Wachsamkeit und größte Geräuschlosigkeit.
    Mit dem Daumen und einem Blick wies er einen Wolfskrieger an, auf eine Eiche zu klettern und Ausschau zu halten, ließ das Pferd erst weitergehen, als der Krieger den Kopf schüttelte.
    Schritt für Schritt tasteten sie sich durch den Wald, achteten auf jeden Hinweis, das Verhalten der Tiere, das Atmen des Waldes, hielten immer und immer wieder Ausschau von Bäumen herab.
    Waren jeden Augenblick auf einen Angriff gefaßt. Erkannten ihn dennoch beinahe zu spät.
    Ein Augenblick, kürzer als ein Wimpernschlag, der über Leben und Tod entschied. In dem Lykos, durch nichts als seinen sechsten Sinn gewarnt, so hart am Zügel des Hengstes riß, daß dieser sich hoch aufbäumte.
    Daß der Hagel von Pfeilen, die für Lykos bestimmt waren, dem Tier in Kopf und Körper fuhr.
    Es brach unter ihm weg.
    Lykos sprang. Wurde, sobald er den Boden berührte, zum Wolf.
    Und dann begann der Kampf, von dem noch Generationen nach ihm beim Festmahl sangen.
    Der Kampf, in dessen Verlauf alle Angreifer getötet wurden und fast alle Angegriffenen.
    Der Kampf, bei dem Lykos, längst mehrfach verwundet, aber durch die rasende Wut gegen das Verbluten und gegen jeden Schmerz gefeit, den Bernsteinbären tötete. Den wahren Bernsteinbären.
    Der Kampf, der im Krieg die Wende brachte. Die Wende zum unaufhaltsamen Sieg der wahrhaft Überlegenen.
    Zum Sieg der Söhne des Himmels.
    Die du Eins warst in Drei und Drei in Eins. Die Streitaxt des Himmelsgottes hat dich erschlagen. Den Blitz hat er gegen dich geschleudert und dich verbrannt.
    Dein Segen ist von uns genommen, und selbst dein Fluch kann nichts ausrichten gegen die grausame Stärke der Himmlischen.
    Auch Göttinnen sterben.
    Weiße Eule, dich habe ich angerufen, in deinem Namen Lykos verflucht.
    Doch er lebt, und Ritgo ist tot.
    »Lykos der Bärentöter« nennen sie ihn. Einer der großen Helden des Krieges, heißt es. Sein Stern sei im Aufgehen.
    Sein Stern?
    Nicht nur die Erde beanspruchen sie für sich, diese Mörder.
    Auch noch den Himmel
    Auf dich, Bruder, hatte das Alte Volk im Osten, hatten die in der Heimat verbliebenen Bauernfamilien im Westen ihre Hoffnung gesetzt. Durch dich fanden die einen den Mut zum Aufstand, die anderen den Mut zum Widerstand. Dein Tod besiegelt ihrer aller Untergang.
    Auf deinen Nacken setzt dieser Lykos seinen Fuß wie auf eine Stufe, die ihn höher führt.
    War es Naki, für die du gestorben bist? War es mein Flehen, Lykos zu töten, das dich ums Leben gebracht hat?
    Deine Kraft, Ritgo. Wie du die Pfosten für unser Haus aufgerichtet hast. Wie du den Stein für das Grab bewegt hast. Wie du den Wurzelstock ausgegraben hast. Wie mühelos du den Pflug geführt hast. Wie du den Stier gebändigt hast.
    Du warst zum Bauern geboren, und Leben wirkten deine starken Hände. Dann lernten sie das Töten, und du starbst nicht nur fern deiner Heimat – auch fern deiner selbst.
    Ich bin dir gefolgt, Ritgo, die Schwester dem Bruder. Warum erkenne ich alles erst, wenn es zu spät ist.
    Ich rufe deinen Namen in schweigende Baumwipfel. Ich rufe deinen Namen über Moore und Seen. Ich rufe deinen Namen in den Wind. Ritgo, mein Bruder. Die Welt ist hoffnungslos geworden ohne dich.
    Kalt blicken die fremden Götter von einem gnadenlosen Himmel.
    Mir bleibt nicht einmal mehr der Fluch.
     

19
    Vor einem Jahr war Haibe diesen Weg gegangen, nun lief sie ihn wieder. Wo damals blühende Dörfer und trutzige Herrenhöfe gestanden hatten, moderten heute verkohlte Trümmer. Unübersehbar die Spuren des Aufstandes

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