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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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– wer konnte das sagen?
    Als die Trommel abbrach, sank er in tiefer Bewußtlosigkeit zu Boden, und mit ihm die Wolfsbrüder.
    Er erwachte bei Morgengrauen mit einem unbestimmten Gefühl der Leere.
    Der Tag war angebrochen, an dem Lykos der Wolf sterben und Lykos der Herr wiedergeboren werden sollte zum neuen Leben – dem Leben im Dienste des Einen, vor dem auch der Heilige Krieger sich beugte als ein bezwungener Sohn vor seinem gestrengen Vater.
    138
    Eine Gestalt gegen den grauen Himmel: der Priester. Er neigte sich zu Lykos herab, reichte ihm einen Becher, sah ihm in die Augen, ein Blick, in dem sich die Erde auftat und ein schwarzer Schlund öffnete, der Lykos in sich hineinsog. Der Priester sprach nur ein Wort: »Stirb!«
    Und Lykos trank und tat, wie ihm geheißen.
    Die Wolfsbrüder umringten Lykos, bildeten einen schweigenden Kreis um ihn, der starr am Boden lag. Im Zwielicht verschmolzen ihre Gesichter mit den Wolfshäuptern, reißende Zähne drohten aus gebleckten Lefzen, Wolfsruten blähten sich im kalten Luftzug. Kein Laut, nur das Klagen des Windes in den alten Eichen.
    Die Wolfsbrüder knieten um Lykos nieder, schoben ihre Hände unter seinen Körper, trugen ihn zur ausgehobenen Grube, hegten ihn hinein, drehten ihn auf die Seite, kreuzten seine Arme über seiner Brust, beugten seine Knie.
    Reglos, willenlos ließ Lykos alles mit sich geschehen, unfähig, sich zu rühren, auch nur einen Finger zu heben. Unbeteiligt über ihren Häuptern schwebend, sah er zu, wie sie an seinem Leichnam rückten.
    Dann war er wieder in diesem steifen, fühllosen Körper, sah das sanfte Herunterrieseln der Sandkörner an der Wand des Grabes.
    Dunkel wurde es um ihn. Er wußte: Nun richteten die Wolfsbrüder Stroh- und Schilfgarben wie ein Zelt über der offenen Grube auf.
    Einst, in einem fernen Leben, hatte auch er nach Weisung der Priester daran mitgewirkt, diesen hoch entflammbaren Bau für Wolfsbrüder zu errichten, die im Feuer der Verwandlung sterben sollten.
    Himmelsvater, gib mir den Mut und die Kraft, mich den Flammen zu ergeben! Laß den Wolf im Feuer sterben, aber erwecke den Herrn zu deinem Dienst!
    Ein Knistern im Stroh, von allen Seiten zugleich, dann ein Brausen, rotgoldener Feuerschein, verzehrende Hitze, Luft wie kochendes Wasser, Brüllen der Flammen –
    Und er mittendrin. Reglos. Starr.
    Das brennende Dorf – der Dorfplatz bedeckt mit Toten, der Boden getränkt vom Blut. Kein Kampflärm mehr, nur das Knistern des Feuers und die Schreie der Frauen und Mädchen. Schon haben die ersten Wolfskrieger die Waffen abgelegt und sich wahllos irgendwelche der gefesselten Weiber gegriffen, sich auf sie geworfen vor den Augen der anderen – mit dem Widerstand von wenigen den von allen zu brechen.
    Doch er, der Anführer, geht mit gespannten Sinnen durchs Dorf, blickt jedem Toten ins Gesicht, gibt diesem oder jenem den letzten Stoß, forscht hinter jedem Trümmerhaufen nach etwa Überlebenden, nach unbemerkter Gefahr.
    Da sieht er das Mädchen. An einen der beiden Pfosten, die das Vordach eines brennenden Hauses tragen, ist sie gebunden, ihr Mund mit der Fessel geknebelt. Über ihr lodern die Flammen. Jeden Augenblick kann das Feuer auf sie herabstürzen. Schon ist er neben ihr, zieht den blutigen Flintdolch, schneidet den Strick durch, der ihre Füße an den Pfosten bindet, den Strick, der ihre Hände fesselt – wir sollen Beute machen, Vieh, Getreide, Frauen, jede ist von Wert, eine junge wie die hier allemal –, und löst den Knebel.
    Und er sieht sie.
    Ihr flachsblondes Haar glänzt im Feuerschein, ihre hellen Augen starren ihn an, sehr blau, ihr Gesicht dicht vor seinem, ein Stöhnen in seiner Brust, die Sommerhitze auf dem Hof seines Vaters, »Kugeni«, flüstert er, streckt die Hand aus, sanft berührt er ihre Wange, »du!«
    Sie zittert unter seiner Berührung, einen Augenblick steht sie still, wie ein Reh, denkt er, das den Jäger sieht, dann dreht sie sich um und rennt davon, flieht aus dem Dorf. Er rührt sich nicht, blickt ihr nach. Lauf, Kugeni, lauf, bring dich in Sicherheit.
    Hinter ihm stürzt das brennende Dach herab. Er springt zur Seite.
    Als er wieder Ausschau nach ihr hält, sieht er, wie sie von einem Wolfskrieger eingeholt und
zu
Boden gestoßen wird, wie der Krieger sie mit der Faust schlägt, ihr Kleid zerfetzt.
    Da stürmt er los, reißt den Krieger zurück. »La ß sie los!« schreit er den Wolfsbruder an, erst als er dessen aufloderndes Mißtrauen bemerkt, wird ihm klar, wie

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