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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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Lykos fest.
    Er kniete noch, als der König vor ihn trat, ihn mit der kupfernen Streitaxt an der Schulter berührte, ihn segnete, ihm den schwarzen Mantel umlegte und ihm das Pferd zuführte.
    Seine ganze Kindheit über hatte er die Pferde des Vaters versorgt und gehütet. Auf dem Rücken der Pferde war er groß geworden. Dann, als Wolfskrieger, war ihm das Reiten verboten gewesen.
    Nun endlich hatte er das unverlierbare Recht zu reiten erworben.
    Er stand auf, nahm die Zügel aus der Hand des Königs in Empfang und schwang sich auf das Pferd.
    Als sich die Stute, dem Druck seiner Schenkel gehorchend, in Bewegung setzte und er von der Höhe des Pferderückens herab auf die anderen blickte, die unter ihm standen und zu ihm aufsahen, da begriff er, daß er ein Herr war.
    Allen sicht- und hörbar mit dem Pferd ausreiten – und das Pferd auf der Koppel lassen, um lautlos zum Hof zurückzukehren. Hin und wieder angewandt, unvorhersehbar, war es eines der Mittel gewesen, mit denen der Vater seine Hausfamilie in Furcht und Gehorsam gehalten hatte. Mehr als einmal hatte es Lykos als Knaben Prügel eingebracht.
    Langsam schritt Lykos dem offenen Tor entgegen und prüfte, was er sah. Temos striegelte hingebungsvoll das Fell der weißen Stute und begann ihre Hufe zu reinigen. Noedia und die älteste Magd standen mit dem Rücken zum Tor am Backtrog und kneteten Brotteig. Naki kniete unter dem Windschutz am Mahlstein und zerrieb Getreide. Keiner bemerkte ihn. Und jeder erfüllte seine Pflicht.
    Lykos lächelte und blieb im Tor stehen. Die Sonne vergoldete den Hof. Herbstlich leuchtete die Eiche.
    Täglich neu nahm Lykos mit den Augen Besitz: Das behäbig breite Wohnhaus mit dem tiefgezogenen Schilfdach und den gekalkten, lehmverputzten Flechtwänden, die bescheidene Hütte für das Gesinde, der wohlgefüllte Speicher auf seinen halbhohen Pfosten, die mit Steinen beschwerten Deckel, unter denen in Erdgruben reiche Vorräte lagerten, Pferch und Unterstand für die Schimmelstute und den Rappen, die aus einem Baumstamm ausgehöhlte Tränke, der Windschutz mit dem Mahlstein, der hohe Palisadenzaun, das starke Tor. Dies alles war sein, ebenso wie die Knechte und Mägde, die ihrer Arbeit nachgingen, und die Pferde und Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine, die auf sein Geheiß im Wald gehütet wurden. Er trug den schwarzen Mantel. Er war der Herr dieses Hofes.
    Sein Blick blieb an Naki hängen.
    Der Tag, an dem er nach erfolgreichem Kriegszug vom Königsfest zu seinem Vater zurückgekehrt war und dieses Mädchen mit sich geführt hatte, das so täuschend Kugeni ähnlich sah...
    Er
erreichte den Hof. Wie den Blick in das Auge eines gereizten Auerochsen genoß er den Gedanken, was sein Vater empfinden möge, wenn ihm in Naki das Ebenbild Kugenis ins Haus gebracht würde.
    Die Hunde schlugen an. Temos lief ihm strahlend entgegen, begrüßte ihn stotternd vor Begeisterung, eine junge Magd versank stumm vor ihm in einem Kniefall und streifte Naki mit
einem anzüglichen Blick. Dann trat Noedia auf den Hof, einen Willkommenstrunk in der Hand. Setzte zu ehrerbietiger Begrüßung an. Sah Naki. Und ihr Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei.
    Ungerührt von dem greifbaren Entsetzen im Antlitz der Noedia, drehte er sich zu Naki um, griff sie am
Arm,
zog sie vor Noedia her hinter sich ins Haus, in den Raum des Hausherrn, vor den Vater auf seiner Bank.
    »Ich grüße Euch, Herr«, sagte er höflich, »die Himmlischen mögen Euch Eure Gesundheit zurückgeben! Ich möchte Euch davon unterrichten, daß ich als Kriegsbeute eine nicht unerhebliche Anzahl Rinder, Ziegen und Schafe an Euren Hof gebracht habe, einiges an Kupfer, Bernstein, Tuch und anderer wertvoller Habe, und dies Mädchen als meine Nebenfrau!«
    Der Vater starrte an ihm vorbei, starrte auf Naki. Sein Gesicht, fahl, gerann zu einer Maske des Grauens. Er griff sich an den Hals, an die Brust, rang nach Luft, krümmte sich zusammen, sackte nach vorn, fiel von der Bank, wand sich, röchelte, zuckte.
    Dann lag er still.
    Mit lautem Jammern rannte Noedia zu ihm, warf sich über ihn, »Tot«, schrie sie, »er ist tot!« Und dann, in wilder Anklage auf Naki deutend: »Die da, die hat ihn umgebracht! Verflucht hat sie ihn! Verhext! Tötet sie, Lykos!«
    »Schweig!« herrschte er sie an. »Die Himmlischen haben meinen Vater abberufen. Trauere du um ihn, wie es sich für dich gehört! Alles andere ist meine Sache!«
    »Aber sie ist eine Wiedergängerin, habt Ihr nicht gesehen, wie entsetzt Euer

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