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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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ihr befohlen weiterzumahlen.
    Aber er war im Haus, und die Tür war geschlossen.
    Alle Männer waren im Haus verschwunden, als letztes der Junge.
    Jetzt würden sie essen, lange beieinandersitzen.
    Und keine Magd zu sehen.
    Hier vom Mahlstein aus überblickte sie den ganzen Hof. Und hatte alle Vorgänge beobachtet und sich gemerkt.
    Der günstigste Augenblick für eine Flucht war der Mittag während des Essens, denn abends wurde das Hoftor geschlossen und mit einem Eichenbalken verrammelt, den sie allein nicht heben konnte.
    Jetzt.
    Ihre Eingeweide verkrampften sich.
    Du darfst dich nicht aufgeben – du darfst es nicht zulassen –du mußt kämpfen –
    Das Hoftor stand angelehnt. Vorsichtig erhob sie sich. Sah sich noch einmal nach allen Seiten um.
    Kein Mensch.
    Der Hund lag dösend in der Sonne.
    »Guter Hund, lieber Hund, du kennst mich doch, bleib liegen, es ist alles in Ordnung, alles in Ordnung –«
    Ihr Mund war trocken. Kaum brachte sie die beruhigenden Worte hervor. Langsam ging sie an ihm vorbei, ließ ihn nicht aus den Augen.
    Roch er nicht ihre Angst?
    Er hob gelangweilt den Kopf.
    »Guter Hund. Schlaf weiter, schlaf!«
    Die letzten Schritte zum Tor endlos.
    Draußen rannte sie. Rannte dem Wald entgegen, erreichte den Schutz der Bäume, sah sich um, konnte den Hof nicht mehr sehen, hastete weiter.
    Das Rennen fiel schwer. Nach den langen Tagen des gefesselten Kniens kam das Blut schmerzhaft in Bewegung, hatten die Beine die Gelenkigkeit verloren.
    Und dennoch war da eine ungeheure Freude und eine unglaubliche Erleichterung, keine Angst mehr, ein strahlender Triumph: Ich habe es getan, ich lasse mich nicht zerstören, ich bin ich!
    Große Göttin, ich danke dir!
    »Ich bin ich!« Naki lachte schrill. Ihre Stimme überschlug sich. »Wohin hat mich das gebracht?! Und was ist von mir übriggeblieben?!
    Nichts, nichts, nichts!«
    Sie ließ sich an der Wand hinabgleiten, kauerte am Boden, stieß den Holzeimer zur Seite und faßte mit beiden Händen in das Loch. Mit aller Macht zerrte und rüttelte, bis ihre Kraft sich erschöpfte.
    Weinend gab sie auf – zum unzähligsten Mal.
    Der Boden des Verschlags war zu fest verzimmert für ihre bloßen Hände.
    Und selbst wenn sie hinausgelangte – es gab keine Rettung, keine Flucht.
    Dafür sorgten die Hunde.
    Sie preßte die Hand in den Leib, rannte weiter, die Hunde, ihr Bellen wurde immer lauter, sie schleppte sich zum Gebüsch, Dornenranken verfingen sich in ihrem Kleid, sie riß es los, taumelte aus der Hecke, stolperte über einen umgestürzten Baum, fiel hin.
    Ein Hund war über ihr, größer als ein Wolf.
    Da war wieder diese unselige Sehnsucht, jemand möge sie in die Arme nehmen, irgend jemand, sie trösten, wie es die Mutter einst getan hatte, sie wiegen und streicheln.
    Auf seinen Befehl zerrten die Knechte sie nackt zum Zaun, banden ihre Hände fest, ihre Füße.
    Und alle sahen zu.
    Naki hatte das Gesicht in den Händen vergraben.
    Tränen quollen zwischen ihren Fingern hervor. Sie leckte die Lippen und schmeckte Salz. Das Salz weckte den Hunger zu einem wütenden Brand.
    Der angebrannte Brei damals. Wie hatte es sie davor ge-
    schaudert. Und was gäbe sie jetzt darum, wenn sie ihn hätte.
    Sie nahm einen großen Schluck Wasser. Schal und schwer lag es in ihrem Magen und betäubte nicht den Hunger.
    Wollte er sie etwa verhungern lassen, qualvoll langsam verrecken in diesem Loch?
    Wieder war die Hitze da, das Herzklopfen, die Enge.
    Naki biß sich in den Finger, zwang sich zu gleichmäßigem Atmen.
    Mutter, hilf mir!
    Ach Mutter, Mutter –
    Hattest du Angst im Grab?
    Aber du mußtest nicht fürchten, daß er kommt. Und du warst nicht allein. Du warst bei den Ahnen und Müttern. Im Leib der Einen.
    Die Eine, die Eine. Sie, die helfen konnte, wenn nichts mehr blieb.
    Naki tauchte die Hand in den Eimer und versprengte ein wenig Wasser, ein paar Tropfen in jede Ecke des winzigen Verschlages.
    Dann malte sie sich einen Kreis auf die Stirn, darin einen kleineren, Eulengöttin, Weiße Frau, ich flehe dich an, steh mir bei.
    Früher waren es heilige Formeln gewesen, Sprüche, die sie ehrfürchtig nachgesprochen hatte, Zeichen, die sie mit frommem Schauer gemacht hatte.
    Nun war es ihre Rettung. Das einzige, das trug.
    Naki kniete, hob die Arme.
    »Eule mit den wissenden Augen, Allsehende, alles Erspähende, nichts kann sich vor dir verbergen. Wenn dein Schrei tönt in der Nacht, rufst du einen Menschen vom Leben ab in den Tod.«
    Der kleine Rablu im Sand,

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