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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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Gesicht zur Seite, schloß fest die Lippen.
    Da stieß er sie zurück. Hob die Hand. Schlug zu. Wieder. Und wieder.
    Sie taumelte, fiel.
    Er trat ihr mit dem Fuß in die Magengrube.
    Der Schmerz raubte ihr die Luft. Sie krümmte sich. Ihr wurde schwarz vor Augen.
    Sie hörte die Tür, hörte den Riegel, hörte die Schritte. Keuchend richtete sie sich auf.
    Er war weg.
    Die Schale mit dem Brei auch.
    Stille im Speicher. Nur ferne Geräusche aus dem Hof: unverständliche Frauenstimmen, Schweinegrunzen und -quieken, das rauhe Schreien einer Krähe, ein regelmäßiges Pochen, das sie nicht zu deuten wußte.
    Langsam verebbte die Hitze. Die Unruhe blieb.
    Naki sprang auf und begann in ihrem Verschlag auf und zu gehen. Drei kleine Schritte hin, umdrehen, drei klein Schritte zurück, umdrehen, drei kleine Schritte hin, umdrehen, drei kleine Schritte zurück, umdrehen ...
    Das Stroh unter ihren Füßen raschelte.
    Blind achtete ihr Körper darauf, nicht an den hölzerne Wassereimer zu stoßen. Sie hatte ihn auf das runde Loch im Boden gestellt. Heute ertrug sie den Anblick ihrer Verbindung zur Außenwelt nicht, ihrer einzigen, ewig enttäuschten Hoffnung: das kleine Loch, durch das sie ihre Notdurft verrichtete und das ihr einen Ausschnitt des Erdreichs unter dem auf halbhohen Ständern errichteten Speicher zeigte.
    Manchmal sah sie durch die Öffnung kleine Tiere: Käfer, die auf ihren Ausscheidungen herumkrabbelten, hin und wieder ein Ferkel, das im Schmutz wühlte, oder eine Ratte. Aber nie waren ihre Gebete in Erfüllung gegangen, dort möge ihr einmal ein mitleidiger Hofbewohner heimlich etwas Eßbares zustecken.
    Oder einen Dolch.
    Mitleid – nicht von denen hier.
    Auch Noedia machte keinen Versuch mehr, ihr zu helfen ...
Das erste, was sie spürte, als sie zu sich kam, war der Durst.
    Das zweite die flammenden Schmerzen auf dem Rücken. Mit den Schmerzen kam die Erinnerung.
    Sie stöhnte.
    Jemand hielt ihr einen Becher an die spröden Lippen.
    Sie öffnete die Augen. Sah Noedias Gesicht dicht vor dem ihren.
    Noedia sagte etwas, das sie nicht verstand.
    Aus dem Becher roch es bitter und würzig.
    Der Geruch erinnerte sie an Zirrkan.
    Sie trank den Becher leer, spürte den Taumel im Kopf.
    Noedia legte den Finger an die Lippen, machte ihr warnende Gesten, beschwor sie mit den Augen.
    Sie nickte, verstand:
Er
durfte davon nicht wissen.
    »Danke«, flüsterte sie. Jetzt erst bemerkte sie, daß ihre Wunden verbunden waren. Und daß sie sich in einem winzigen, festgefügten Verschlag befand.
    Sie glitt hinweg.
    Seltsam, sie war sicher gewesen, daß diese Noedia sie haßte.
    Doch der Trank, den Noedia ihr gereicht hatte, hatte die Schmerzen betäubt und hatte sie in einen langen gnädigen Schlaf fallen lassen.
    Aber seither hatte auch Noedia keinen Versuch mehr gemacht, ihr zu helfen.
    Natürlich, sie fürchtete
ihn.
    Man brauchte die Sprache dieser Leute nicht zu verstehen, um zu begreifen, daß alle an dem Hof hier
ihn
fürchteten.
    Es gab nichts, das nicht in
seiner
Macht stand.
    Und nichts, wovor er zurückschrecken würde.
    Was für ein dummes, ahnungsloses Kind sie damals gewesen war, als er sie an seinen Hof gebracht hatte.
    Zu glauben, es könne nicht mehr schlimmer kommen. Nur weil die eigene Vorstellung nicht ausreichte, sich noch Schlimmeres auszudenken

    Tante Mulai legte die Arme um sie und drückte sie an sich. »Mut, Naki, Mut! Wenn du jetzt von uns getrennt bist–gib dich nicht auf!
    Da tief in dir drin, da ist etwas, das kann keiner zerstören, wenn du es nicht zuläßt.
    Du darfst es nicht zulassen, du mußt kämpfen!
    Deine Ehre und deine Würde, die kann er dir nicht nehmen, ganz gleich, was er dir antut.«
    Drei Schritte hin, umdrehen.
    »Meine Ehre und meine Würde!«
    Drei Schritte her, umdrehen.
    »Da ist nichts, Tante Mulai, nichts!«
    Drei Schritte hin, umdrehen.
    »Kein Kern, noch so tief drinnen!«
    Drei Schritte her, umdrehen.
    »Er hat ihn zerstört.«
    Drei Schritte hin, umdrehen.
    »Und ich hab' es nicht zulassen wollen! Beim ersten Mal konnte ich mich nicht wehren, ich war wie gelähmt, aber später hab' ich mich immer gewehrt, nie habe ich seine Küsse erwidert, nie hat er mich anders nehmen können als mit Gewalt, ich habe gekämpft, hörst du –«
    Sie trommelte mit den Fäusten gegen die Wand, lehnte sich schließlich erschöpft dagegen.
    Der Augenblick, als sie begriffen hatte –
    Er
selbst hatte ihre Fesseln durchschnitten. Auf unmißverständliche Art hatte er ihr gedroht, hatte

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