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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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sie. Jetzt wird er mich töten.
    Warum fühle ich nichts.
    Wieder hebt er die Faust.
    Ich will nicht sterben.
    Der andere ist da. Mein Retter.
    Der Retter reißt den Wolfskrieger zurück.
    Er hilft mir. Er schützt mich.
    Ich sollte erleichtert sein. Warum fühle ich nichts. Sie will sich aufrichten. Sie kann nicht.
    Der Retter kniet über ihr, drückt ihre Arme in den Sand, schiebt ihre Beine auseinander.
    Nein!
    Heftig knallte Naki ihren Hinterkopf an die Holzwand. Ihr Schädel dröhnte. Die Erinnerung verschwand.
    Für wie lange?
    Sie mußte diesem Zwang entfliehen, dem Zwang, sich zu erinnern an das, was sie vergessen wollte, was sie vergessen mußte, doch wie, in diesem Gefängnis, das keine Hilfe bot, nicht die geringste Ablenkung, keine Arbeit, in die sie fliehen konnte, keinen Menschen, zu dem sie Zuflucht nehmen konnte, niemanden, nur Sie, die Eine, die überall war –
    »Große Göttin, du ewig fruchtbare, trächtige Sau, geheiligt ist dein schwangerer Leib«, begann sie laut zu beten, schrie fast, beschwor mit ihrer Stimme die Vergangenheit, versuchte sich in das Gebet zu hüllen wie in eine Decke: »Segen trägt dein reiches Füllhorn. Ewige Mutter Erde, Leben schaffst du aus dir selbst, aus deinem feuchten schwarzen Schoß.«
    Er packt ihre Hüften, zwingt sie zu sich heran.
    Seine Bewegungen unendlich langsam und doch unaufhaltsam.
    Er dringt ein in ihr Innerstes.
    Nicht daran denken, Göttin, hilf mir.
    Naki faßte nach dem Lederbeutelchen um ihren Hals, holte den kleinen Stein hervor und umklammerte ihn, klammerte sich an die Worte, mit denen die Mutter ihr einst diesen Stein geschenkt hatte: Die Göttin ist in ihm. Nun ist Sie immer bei dir.
    Zum unzähligsten Male dankte sie im stillen jenem Menschen, der ihr den Beutel mit dem Stein wieder umgelegt haben mußte, als man sie bewußtlos in dies Gefängnis gebracht hatte. War es Noedia gewesen?
    Naki drückte ihre Lippen auf den Stein. Dann begann sie erneut zu beten: »Alles Geborene ist durchdrungen von deiner Kraft. Blumen und Bäume, Korn und Früchte, Steine und Hügel, Flüsse und Moore, Äcker und Wälder, Tiere und Menschen sind aus dir geboren und mit Leben erfüllt von dir. Von dir komme ich, du trägst mich und nährst mich –«
    Ich habe furchtbaren Hunger, Große Bärin, wie lange habe ich nichts zu essen bekommen – »Du verläßt mich nicht, wo immer ich bin, bin ich bei dir. Und wenn ich sterbe, so werde ich leben, denn du nimmst mich auf. Du machst heil, was zerstört ist ...«
    Langsam wurde sie ruhig. Sie schloß die Augen, lehnte den Kopf an die Wand, sprach die seit Kindheit vertrauten Gebetsformeln immer leiser, immer langsamer, ließ sie versickern.
    Sie spürte nichts mehr, nur eine friedvolle Leere für ungemessene Zeit. Endlich sank sie aufs Stroh und schlief ein, gerettet für den Augenblick.
    Ein Geräusch zerschnitt die Ruhe ihres Schlafes.
    Ein langes Knarren: die Speichertür.
    Hitze wallte aus ihrer Körpermitte empor, Schweiß brach aus allen Poren, der Herzschlag jagte, dröhnte in den Schläfen. Die längst verheilten Striemen am Rücken begannen wieder zu brennen.
    Schritte.
    Das Quietschen eines Truhendeckels.
    Rascheln.
    Das Knallen, mit dem der Deckel geschlossen wurde. Eine Magd.
    Nicht
er.
    Wieder knarrte die Tür.
    Allein.
    Keine Schläge.
    Kein–
    Und noch immer kein Essen.
    Viermal war er bisher gekommen ...
    Es knarrte. Schwere Schritte näherten sich.
    Sie hörte den Riegel. Und dann öffnete sich die Tür des kleinen Verschlages.
    Er stand darin. Er hielt eine Schale mit Brei in der Hand, hielt sie ihr hin, dicht unter die Nase.
    Der Duft von warmer Milch und frischen Kräutern.
    Endlich Essen!
    Sie faßte nach der Schale. Er zog sie zurück. Sie konnte die Augen nicht davon wenden. Das Wasser schoß ihr in den Mund.
    Er bückte sich und stellte die Schale hinter sich in die offene Tür. Dann richtete er sich wieder auf. Sah sie an.
    Im Dämmerlicht konnte sie sein Gesicht kaum erkennen. Dennoch spürte sie, wie sein Blick ihren Körper entkleidete. Langsam schlug er seinen Mantel auseinander. Er trug nur einen Lendenschurz darunter. Langsam, sehr langsam faßte er an den Gürtel, begann ihn zu lösen.
    Nicht das! Nicht wieder das!
    Sie wich vor ihm zurück, drückte sich in den Winkel des Verschlags, preßte die gekreuzten Hände vor die Brust.
    Er
kam näher, faßte in ihren Nacken, grub seine Finger in ihr Haar, zog ihren Kopf zu sich heran und versuchte sie zu küssen.
    Sie wand sich, drehte das

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