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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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Glanz.
    Unmöglich, darauf zu antworten. Unmöglich, sich länger zu beherrschen.
    Schreien, ich möchte schreien, lächeln, ich muß lächeln ... In ihrer Not ergriff sie seine Hände und drückte ihr Gesicht hinein.
    Er streichelte ihre Wangen mit seinen Daumen.
    Da war er wieder, der Ton. Dieses Schrillen in ihren Ohren.
    Ein Geräusch im Hof. Naki erstarrte. War das Hufschlag?
    Das Schlagen des Gartentors im Wind.
    Ihr Herz hämmerte. Sie preßte die Hände an die Brust, zwang sich zu ruhigem Atem, zwang ihre Gedanken zu der Geschichte, die Daire erzählte.
    »... da lachte die alte Frau ein böses Lachen und sagte zu dem jungen Mädchen: Wenn du bis morgen nicht allen Flachs gesponnen hast, dann fresse ich dich auf!« fuhr Daire fort.
    Kori, das Gesicht hochrot, die Augen weit aufgerissen, drückte sich dicht an Naki, versteckte sich in den Falten des Kleides. »Das tut sie doch nicht, oder? Sie frißt das Mädchen nicht auf?« flüsterte sie angstvoll.
    »Nein«, gab Naki im Flüsterton zurück, »das tut sie nicht, weil doch die Elfen dem Mädchen helfen den Flachs zu spinnen! keine Angst, Kori, hör zu!«
    Erleichtert seufzte Kori auf, wagte sich mit dem Gesicht wieder aus Nakis Kleid hervor, blieb dennoch dicht an ihre große Freundin gedrückt.
    Naki legte kurz den Arm um sie, drückte sie an sich, dann
    hechelte sie weiter mit dem Rippenknochenkamm den Flachs. Ihre Hände flogen: Unruhe, verwandelt in Bewegung. Mutter, dachte Naki, ich habe auch Angst. Ich möchte mich
    auch in deinen Rock flüchten!
    Warum ist das so? Es sind doch alle gut zu mir bei Daire. Seit fünf Tagen schon war Lykos nicht mehr hier.
    Warum habe ich auch dann Angst, wenn er nicht da ist? Schau' dauernd zur Tür, ob er kommt?
    Was redest du mit deiner Mutter, sagte Tante Mulais Stimme. Deine Mutter ist nicht da. Ich bin da. Und dein Großer Oheim. Aber es freut uns nicht, was wir sehen. Ich will dir sagen, was mit dir ist: Ein dünner Faden ist in dir, zum Zerreißen gespannt. Nur eine kleine Berührung, und er zerspringt. Du gehst auf Eis, auf sehr dünnem Eis. Und ich höre schon, wie es knackt.
    Naki warf das gehechelte Bündel Flachs in den Korb, nahm sich ein neues, weiter.
    Daire, am Boden kniend und den Röststrohflachs über einer Steinklinge brechend, erzählte und erzählte.
    Naki versuchte sich die Worte einzuprägen, als müsse sie die Geschichte auswendig lernen.
    Daire beendete ihre Geschichte.
    Naki griff nach ihrem Stein, holte ihn aus dem kleinen Beutel und preßte ihn in der Hand. Was außer dem Stein sollte sie vor der Angst und vor den Stimmen schützen, wenn Daire nicht mehr sprach?
    Das Knistern des Feuers, das leise Knacken der verholzten Rinde des Flachsstrohs, das leise Wetzen des Sandsteins, mit dem Irrkru den neuen Schaft für sein Beil glattschliff, den er aus Lindenholz geschnitzt hatte. Dann ein Knarren.
    Naki zuckte zusammen. Schweiß brach ihr aus.
    Die Tür zum Speicher – die Schritte – der Verschlag –Zitternd drehte sie sich um. Lele war zur Tür hereingekommen.
    Naki schloß die Augen. Hat das denn nie ein Ende? Nie! meinte Tante Mulai.
    Göttin, Große Mutter, die du deine Kinder verteidigst wie die Bärin ihr Junges, betete Naki stumm, du hast mich noch aus jeder Verzweiflung gerettet, in jeder Not geholfen, aus dem Verschlag hast du mich befreit, hilf mir auch jetzt!
    Da, wie eine Antwort, spürte Naki eine kaum wahrnehmbare, leichte Bewegung in ihrem Bauch, als sei da drinnen ein kleines Fischlein, das sie sanft mit seiner Flosse berührt habe.
    Und alles war gut.
    Naki hielt den Atem an, spürte der Berührung nach.
    Dann sagte sie: »Daire, ich hab' mein Kind gespürt! Es hat sich bewegt! Wirklich, es hat sich zum ersten Mal bewegt!«
    »Wie schön!« Daire sah auf und lächelte ihr zu. »Dann brauchst du jetzt ein Amulett, das dein Kind schützt, damit ihm nichts zustößt! Kori, komm her zu mir, du mußt mir eine Haarlocke für Nakis Baby schenken!«
    Kori lief zu ihrer Mutter. »Machst du dann auch einen Ring aus meinen Haaren wie für Lele?« fragte sie aufgeregt.
    »Aber ja, wie für Lele!«
    »Einen Ring aus einer Haarlocke?« wunderte sich Naki.
    Daire nickte. »Weißt du das nicht? Das Haar eines gesund geborenen Kindes schützt das Leben eines ungeborenen!« Sie flocht Kori einen dünnen kleinen Zopf aus einer Haarsträhne, band ihn mit einem Flachsfaden ab, schnitt ihn mit ihrem Steinmesser von Koris Kopf und wand ihn zu einem kleinen Ring. »Da, Kori, bring das Naki! Und sag

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