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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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mit beiden. Er fing einen der Schneebälle auf, warf ihn zurück und traf die Kleine mit einem wohhgezielten Wurf. »Noch einmal, und ich stecke dich bis zum Hals in einen Schneehaufen!« drohte er im Spaß.
    Hingerissen vor Bewunderung, staunte Kori zu ihm empor. »Geht nicht!« sagte sie dann entschuldigend zu Naki.
    »Schade!« Naki zuckte die Achseln und lachte. Ihre Augen trafen sich mit Irrkrus. Sie wurde rot. Hastig rührte sie wieder in der Blutsuppe.
    Irrkru pfiff ein Lied.
    »Ich hab's geschafft!« schrie Fior triumphierend. »Sieh her, Irrkru, ich habe genau in die Mitte von dem Balken getroffen!« Aufgeregt wies er auf den Pfeil, der in dem Fachwerk des Wohnhauses steckte.
    Irrkru ging zum Haus und nickte: »Nicht schlecht gezielt! Aber der Pfeil steckt nicht tief. Da ist nicht genug Kraft dahinter. Paß auf, du mußt die Sehne bis ans Ohr ziehen! Ich mach' es dir vor!« Er unterwies Fior darin, wie er den Bogen zu spannen habe, dann kehrte er an seinen Arbeitsplatz zurück.
    »Warum machst du das, Irrkru«, fragte Naki. »Warum läßt du deinen Bruder Bogen schießen, statt ihn anzuhalten, uns hier zu helfen?«
    Irrkrus Gesicht verschloß sich. »Vielleicht kommt der Tag, an dem es wichtiger ist, Bogenschießen zu können, als Wurst zu machen«, erwiderte er und fuhr sich mit den Fingern über seine Narbe. »Nicht wahr, Lele?«
    »Ich hoffe es«, sagte diese. Dann wandte sie sich ab und verschwand im Schuppen.
    Daire rief aus dem Wohnhaus: »Irrkru, kommst du bitte! Wir müssen die Vorratsgrube öffnen!«
    Irrkru ging ins Haus.
    Naki sah ihm nach.
    Die Vorratsgrube im Wohnhaus. Unter dem Familienbett, das so fest und unverrückbar aussah, als wäre es noch nie von der Stelle bewegt worden.
    Daire hatte sie schon nach wenigen Tagen in das Geheimnis dieser Vorratsgrube eingeweiht. Kein Wort davon zu Lykos! hatte sie gesagt. Seinetwegen, wegen der hohen Abgaben, die er von uns verlangt, müssen wir einen Teil unserer Vorräte verstecken. Wir haben sonst nicht genug zum Essen. Aber wenn er herausbekommt, daß wir ihm Abgaben vorenthalten, zündet er uns den Hof an und vernichtet unser ganzes Hab und Gut.
    Naki schüttete die Fleisch- und Fettbrocken in die Blutsuppe und rührte.
    Lele kam zurück, einen Holzzuber in der Hand. Sie trat ans Feuer und kostete von dem Wurstbrei. »Da fehlt noch etwas an dem Geschmack!«
    Naki nickte. »Ich hole die Kräuter«, sagte sie und ging zum Wohnhaus.
    Da, die Hand schon an der Tür, hörte sie den Hufschlag. Sie riß die Tür auf.
    »Lykos!« schrie sie, ihre Stimme überschlug sich. »Lykos kommt!«
    Das große Lager war aus der Ecke des Raumes beiseite geschoben, die Grube darunter geöffnet. In dieser Grube stand bis zum Kopf versteckt Daire und reichte eben Irrkru ein Vorratsgefäß. Wie mitten in der Bewegung erstarrt, sahen beide zu Naki.
    »Lykos?!« stieß Irrkru hervor. »Naki, bitte, schaff uns Zeit, halt ihn auf! Wir sind verloren, wenn er das hier sieht! Bitte!«
    Sie drehte sich um, zog die Tür hinter sich zu, lief über den Hof, dem Reiter entgegen. Tun, was soll ich tun.
    Lykos zügelte mitten im Hof das Pferd, stieg ab, winkte Fior, der herbeikam, Pfeil und Bogen in der Hand, und reichte ihm die Zügel. »Trockne es ab!« befahl er und wandte sich zu Naki um.
    Ich bin gespannt, was du dir jetzt einfallen häßt, meinte Tante Mulai.
    Naki zwang sich ein Lächeln ab. Beide Hände streckte sie ihm entgegen: »Ich freue mich, Euch zu sehen, Herr«, sagte sie langsam den Satz, den sie gelernt hatte.
    Ein Strahlen ging über sein Gesicht: »Du sprichst immer besser!«
    »Ich lerne fleißig«, erwiderte sie sorgfältig in seiner Sprache und fügte mit absichtsvoller Verschämtheit hinzu: »Sagt man so?«
    »Aber ja!« Er lachte und zog sie an sich.
    Ihr Kopf an seiner Schulter. Gleich würde er sie auf die Arme heben und ins Haus tragen. Und dann würde er sehen, was er unter keinen Umständen sehen durfte.
    Verzweifelt irrten ihre Augen umher. Wenn sie Lele ein Zeichen geben könnte, oder Fior!
    Doch Lele rührte mit gesenktem Kopf im Wurstbrei, und Fior hatte ihr den Rücken zugewandt und striegelte das Pferd.
    Allmächtige Schlange, hilf!
    Da, mit einem Mal, wußte Naki, was sie tun würde.
    Sie bemühte sich um einen schüchternen Augenaufschlag. »Eine Bitte, Herr«, flüsterte sie schmeichelnd – Oheim Ritgo, was wirst du dazu sagen – »Darf ich Euch eine Bitte ...?« Was ihr an Wörtern fehlte, ersetzte sie mit dem Blick und haßte sich selbst

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