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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Gewehr.«
»Ich liebte.«
    »Ich sorgte dafür, daß sich meine Diener täglich rosa kleideten. Rosa.«
      »Ich hatte Angst vor meinem alten Vater.« »Ich stürzte mich in einen Brunnen.«
    Die Liste wurde lang. Jeder einzelne war schuldig. Tallow war ebenso schuldig. Das begriff er jetzt. Dann war Stille. Sie starrten zum Anstaltsleiter hinauf. Tallow wandte sich ebenfalls um, ganz langsam, und sah ihn an.
    Der Leiter hob die Hand. »Ihr habt alle etwas gemacht, das nicht gut für euch war«, sagte er. »Ihr seid alle Verrückte, Wahnsinnige. Wir bemühen uns, euch zu helfen.« Er runzelte die Stirn, wischte sie sich dann mit einem großen gelben Ta schentuch ab. Dann lächelte er. »Euch allen wird es bald besser gehen«, versprach er.
    Die Gefangenen begannen wieder durch den Garten zu marschieren, mit schlurfenden Füßen, die Augen an den Boden geheftet. Tallow schauderte es, und er setzte sich im Schatten des Hauses nieder und gab sich Mühe, die anderen nicht zu beachten.
    Nach einigen Minuten schrillte wieder eine Pfeife, und die Gefangenen trotteten den Weg zurück, den sie gekommen waren. Der Leiter stand noch immer auf dem Balkon und runzelte erneut die Stirn. Tallow schloß sich der Reihe an, kehrte in den Saal und dann in seine Zelle zurück. Harold sah ihn mißbilligend an, schloß hinter ihm die Tür und setzte sich neben ihm auf das Bett.
    »Ich glaube, Sie haben damit angefangen, Sir«, sagte er und machte einen Schmollmund.
    »Na und?« sagte Tallow. »Ich habe niemanden gebeten, mich hierherzubringen.«
    Tallow nahm den glänzenden leeren Nachttopf und begann, an ihm herumzuspielen.
    »Das weiß ich doch, Sir«, lächelte Harold. »Und da Sie hier neu sind, können wir Ihnen natürlich keinen Vorwurf machen. Es ist zu Ihrem eigenen Besten«, sagte er glücklich. »Es ist zu Ihrem eigenen …«
    Tallow schlug dem alten Mann mit dem Nachttopf den Schädel ein. Blut und Hirn traten heraus und befleckten das Porzellan. Tallow war ruhig und wußte, was zu tun war. Er schälte sich aus seinem Arbeitsanzug und zog Harolds Leiche aus. Dann streifte er sich den gelben Arbeitsanzug über. Er war ihm nur ein wenig zu groß.
    Dann spazierte er, noch immer ruhig, aus der Zelle. Er schlenderte langsam zum Haupteingang des Heimes und öffnete ihn. Zwei Wärter kamen an ihm vorbei, hielten ihn aber nicht auf. Er ging die Auffahrt hinab und roch den Duft der Blumen und des frisch gemähten Grases, er hörte, wie der Kies des Weges unter seinen Schuhen knirschte. Ein paar Schritte vor ihm war ein großes Eisentor, daneben eine kleine Hütte. Vor dieser stand ein Wächter und rauchte Pfeife.
    Tallow hörte sich selbst sagen: »Muß in die Stadt. Bin in ungefähr einer Stunde zurück.« Er starrte den Pförtner an, und der Mann beugte sich vor und schloß das Tor mit einem gewaltigen Schlüssel auf. Dann lief Tallow schon die Straße entlang, sah in der Ferne die Stadt und hinter ihr den glitzernden Fluß. Sobald er außer Sichtweite war, fing er automatisch an zu rennen, die steile Straße zur Stadt hinab.
    Die Straße hatte eine Betondecke und sah ordentlich und sauber aus. An beiden Straßenrändern standen hübsche Bäume, die sich schwach im leichten Wind wiegten. Der Himmel darüber war blaßblau mit weißen Wolkenfetzen, die ziellos im Wind trieben.
    Tallow war nur bestrebt, wieder den Fluß zu erreichen. Als er die Außenbezirke der Stadt berührte, wählte er eine Nebenstraße, dann eine zweite, immer noch auf dem Weg zum Fluß. Ein paar Leute drehten sich um und starrten ihm nach, doch er beachtete sie nicht, rannte, rannte weiter, bis er auf eine Straße stieß, die parallel zum Fluß verlief. Auf dem Wasser lagen mehrere Segelboote, einige davon waren unbemannt. Eines, das dem seinen ähnelte, war an einem Holzpfahl festgemacht, der im Ufer steckte. Er sprang an Bord und riß das Tau vom Pfahl. Dann lenkte er das Boot auf die Flußmitte zu und war fort. Er war entkommen.
    Es dauerte zehn Minuten, bis er begriff, daß er einen Menschen getötet hatte. Während er der Sonne entgegenfuhr, die schon hoch am Morgenhimmel stand, überlegte er, ob er umkehren sollte oder nicht. »Es ist zu Ihrem eigenen Besten.«
    Er starrte voraus und wollte seinen Augen nicht trauen. Deutlich sah er wieder die Barke. Er hatte Zeit genug, sie einzuholen.
    Er lächelte.
    »Ich habe ihn zu seinem eigenen Besten getötet«, sagte er.
    Aber obwohl er lachte, kehrte doch die Erinnerung an den blutverschmierten Nachttopf zurück.

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