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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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verstecken. Er sprang aus dem Wagen und half ihr auch heraus. Ihre Beine waren hübsch und gut geformt. Sie lächelte und gönnte ihm die ganze Pracht der Farben Braun, Grün und Weiß.
      Sie erstiegen die Stufen gemeinsam, sprangen sie wie Ballettänzer hinauf, die Füße im Gleichtakt. Als sie die Tür aufstießen, glitt ihre Hand in seine, und sie marschierten in die Halle, deren Dachbalken sich in der Finsternis verloren. Ein schattiger Saal, in dem es still wie in einer Kirche war. Staub schwebte in dem einen Sonnenstrahl, der durch den Türspalt fiel. Die Tür war anscheinend verzogen, denn sie ließ sich nicht ganz schließen. Staub wirbelte um Tallows Nase, und er nieste. Die Frau lachte entzückt auf.
    »Ich heiße Miranda«, teilte sie ihm mit. »Wie heißt du?«
    »Tallow«, antwortete er, und seine Augen füllten sich mit Tränen, weil ihn seine Nase noch immer juckte. »Jephraim Tallow, zu deinen Diensten!«
    »Zu meinen Diensten!« Sie klatschte in die Hände, und die Echos hallten durch den Saal. »Zu meinen Diensten!« Sie klatschte die Hände zusammen und lachte, bis der Saal vom Applaus und Gelächter einer gewaltigen Zuschauermenge erfüllt war.
    Eine Stimme wie die Posaune des Jüngsten Gerichts erscholl und drang in Tallows überraschte Ohren. »Madam, Sie wünschen ?«
    Tallow starrte in die Finsternis und bemerkte erstaunt, daß die Stimme, hohl wie eine Trommel, einem gebeugten und weißhaarigen Alten gehörte, der in verblaßtes Gold und Silber gekleidet war. Eine Livree, von Jahren des Gebrauchs gefleckt und verdreckt. Miranda antwortete dem Mann, der offenbar einer der zwei Dienstboten war, von denen sie gesprochen hatte: »Das Abendessen, Yorchem! Abendessen für zwei!« »Ja, Madam.«
    Der Gebeugte verschwand in einer Staubwolke durch eine Tür, die fast nicht zu erkennen war.
    »Einer meiner Diener«, wisperte Miranda. »Seine Frau ist der zweite Dienstbote, die verdammte Alte!« Ihr Fluchen klang recht bösartig, wie das Zischen einer gefährlichen Schlange. Tallow wußte nichts von dem Haus und fragte sich, wie eine alte Frau solchen Zorn in Miranda hervorrufen konnte. Doch schwirrten tausend Gründe durch seinen Kopf, und er wies sie alle zurück. Er war nicht der Mann, voreilige Schlüsse zu ziehen. Schlüsse waren zu endgültig. Sie führten in den Tod. Miranda packte seine Hand und führte ihn durch die Halle an den Fuß einer breiten Eichentreppe, die sich in die Höhe wand. »Komm, Jephraim«, murmelte sie jetzt wieder fröhlich. »Komm, mein zärtlicher Tallow, suchen wir dir Sachen zum Anziehen.«
    Tallow fand zu seinem Selbstvertrauen zurück, ließ seine Beine große Schritte machen und eilte flink wie ein Kaninchen die Treppe empor. Sie tanzten Hand in Hand eine Polka bis in den dritten Stock des weiten, dunklen Hauses hinauf. Das Haar der beiden, seines rot, ihres schwarz wie Ebenholz, flatterte ihnen um die Köpfe, und sie lachten die ganze Zeit vor Glück und vergaßen alles um sich herum.
    Sie hüpften bis in den dritten Stock hinauf, und Miranda brachte Tallow vor eine von vielen festen Türen. Er war ein wenig außer Atem gekommen, da er es nicht gewöhnt war, so viele Treppen zu erklimmen. Sie mühte sich mit beiden Händen am Türknauf ab, beugte den Körper und verdrehte den Kopf nach oben, bis die Tür schließlich knarrend aufging. Bei Tallow setzte unterdessen ein Schluckauf ein.
    Inzwischen heulte der Wind, der Tallow auf die Sandbank getrieben hatte, um die goldene Barke, die ruhig nach Norden weiterzog, den Siegen oder Niederlagen entgegen, die ihrer harrten.
    »Jephraim«, wisperte Miranda, als er sich in seinen Sessel
zurücklehnte und Branntwein aus einem Glas nippte, das so
groß wie sein Kopf war.
»Hmm?« machte er und lächelte albern.
    Das Mahl war mit reichlichem nachtrotem Wein hinabgespült worden.
    »Jephraim, wo kommst du her?« Sie beugte sich über den kleinen Tisch vor. Sie hatte sich umgezogen, war in ein dunkelblaues Gewand geschlüpft, das von den glatten Schultern herabfiel und ihre Gestalt umhüllte. An den Knien bauschte es sich wie eine Glocke. An ihrer Linken trug sie zwei Ringe mit Saphiren und Smaragden, und an ihren Hals schmiegte sich eine dünne Goldkette. Neue Gefühle durchströmten Tallow, dazu regte sich immer noch ein kindliches Staunen über sein Glück, das in einem Teil seines Verstandes festsaß, während er schon die Hand ausstreckte, um Mirandas krallenbewehrte Finger zu ergreifen. Der Kitzel der Erregung, der

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