Die goldene Barke
Boot zu heben, konnte es aber nicht. Er blickte sich um. Er sah das Haus. Er würde Hilfe brauchen. Mit einem Achselzucken watete er durchs knietiefe Wasser zum Ufer und kletterte die feuchte, bröcklige, von Wurzeln durchzogene Erde hinauf, wobei er sein Schicksal verfluchte.
Tallow war irgendwie Fatalist. Und sein Fatalismus kam ihm schließlich zu Hilfe, als er vor sich eine Mauer sah, eine rote Ziegelmauer, auf der in Flecken schwarzes Moos wucherte. Seine Laune besserte sich fast augenblicklich, und er war wieder einmal ganz der alte, kalte, kecke Tallow. Denn hinter dieser Mauer konnte er Kopf und Schultern einer Frau erkennen. Die Barke mochte ein wenig warten.
Fünftes Kapitel
S ie war eine Schönheit mit scharfem Kinn und Schmoll
mund, und ihre Augen waren grün wie Schlamm. Sie
trug einen schäbigen Filzhut und starrte Tallow über die niedrige Ziegelmauer an, die etwa bis zu ihren Schultern reichte.
»Du lieber Gott!« Sie schnappte nach Luft. »Ein Mann!« Sie lächelte. Einer ihrer köstlich ebenmäßigen Zähne war braun gefleckt. Zwei andere waren grün wie ihre Augen.
Tallow hatte seit Jahren nur matt und schläfrig auf Frauen reagiert. Die Frauen wurden von ihm nicht angezogen, und er fühlte sich nicht zu ihnen hingezogen. Doch irgendwie wußte er instinktiv, daß er mit dieser hier eine Bindung eingehen würde. Er genoß dieses Wissen. Einen Augenblick hielt er an ihm fest.
»Guten Morgen, meine Dame«, sagte er, spreizte die Beine und machte eine tiefe, unbeholfene Verbeugung, die durch seinen feuchten Zustand auch nicht eben verbessert wurde. »Meine Schaluppe ist auf Grund gelaufen, und ich sitze fest.« »Dann müssen Sie bei mir bleiben«, antwortete sie. »Mein Haus liegt da drüben.« Sie streckte einen runden Arm aus und zeigte in die Richtung des fünfstöckigen Gebäudes. Ihre Finger waren lang und zart und liefen in purpurn bemalte Krallen aus. »Das ist aber ein feines Haus, meine Dame, dem Aussehen nach zu schließen.« Tallow stolzierte auf die niedrige Mauer zu.
»Fein ist es schon«, sagte sie, »aber ziemlich leer. Ich habe nur zwei Dienstboten.«
»Das genügt nicht.« Tallow runzelte die Stirn. »Das genügt nicht.« Er fühlte, daß das Schicksal sich gewendet hatte. Die Barke konnte er immer wieder finden, irgendwann einmal. Er konnte sie immer einholen.
Er schwang sich über die Mauer. Das war eine beachtliche
Leistung für einen Menschen seiner Größe, und der Sprung geschah mit einer Zartheit, einer Feinheit, die ihm sonst fremd war. Er stand neben ihr. Er blickte sie unter halb geschlossenen Lidern hervor an. »Ich wäre dankbar, wenn ich ein Bett für die Nacht haben könnte«, sagte er. »Und wenn man mir am Morgen helfen könnte. Mein Boot muß wieder flottgemacht werden.«
»Ich werde dafür sorgen«, versprach sie. Sie hatte lebhafte Lippen, die sich beim Sprechen glatt um die Worte bewegten. Sie besaß eine schlanke Taille und volle Hüften. Ihr Hintern rundete sich fest unter dem gelben Seidenrock. Ihre großen Brüste spannten die glänzende Seide ihrer schwarzen Bluse, und die Absätze ihrer Schuhe waren sechs Zoll hoch. Sie wandte sich um und ging auf das Haus zu. »Folgen Sie mir«, sagte sie.
Tallow folgte ihr und fragte sich, wie sie wohl auf ihren hohen Absätzen das Gleichgewicht bewahren konnte. Ohne die Absätze, erkannte er erfreut, war sie kaum einen Zoll größer als er. Sie führte ihn durch einen Garten voller spitzem Blattwerk und erreichte schließlich eine sandige Straße, die gewunden auf das Haus zulief.
Ein zweirädriger Wagen, gezogen von einem gelangweilten Esel, stand leer vor ihnen. Das Fleisch der Frau war weich und brannte vor Verlangen, als Tallow sie mit den Fingerspitzen berührte und ihr in den Wagen half, wobei sein Geist Purzelbäume schlug. Er grinste vor sich hin, als er neben ihr einstieg und die Zügel ergriff. »Hü! Hott!« schrie er.
Der Esel seufzte und setzte sich müde in Bewegung.
Fünf Minuten später riß Tallow heftig an den Zügeln des Esels und brachte die Kutsche auf dem Kies vor dem Haus knirschend zum Stehen. Eine Treppe aus massiven Steinstufen führte zu einer großen Holztür hinauf, die halb offenstand. »Mein Heim«, bemerkte die Frau unnötigerweise.
Tallow zuckte bei dieser Albernheit enttäuscht zusammen. Das Gefühl ging jedoch bald vorüber, machte seiner Freude über so viel Glück Platz.
»Ihr Heim!« rief er. »Hurra!« Er bemühte sich nicht weiter, seine Gefühle zu
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