Die goldene Barke
Erwartung war fast nicht mehr zu ertragen, und das Beben seiner Stimme war wie das Hämmern seines Herzens.
»Aus einer Stadt, die viele Meilen entfernt ist«, sagte er, und das schien ihr zu genügen.
»Wo willst du hin, Jephraim?« Die Frage wurde wie nebenbei gestellt.
»Ich war dabei – ich bin dabei, einer goldenen Barke zu folgen, die an deinem Haus vorüberfuhr, bevor ich auf die Sandbank lief. Hast du sie nicht gesehen?«
Sie lachte, und ihr Gelächter tat ihm weh. »Du törichter Tallow!« rief sie. »So ein Schiff ist nicht vorbeigekommen. Ich habe keines gesehen, und ich war stundenlang im Garten und habe den Fluß beobachtet. Ich übersehe keines der Schiffe, die vorübersegeln.«
»Dieses hast du übersehen«, murmelte er und starrte in sein
Glas.
»Deine Scherze sind schwer zu begreifen, Jephraim«, sagte sie leiser. »Aber ich bin sicher, daß sie mir gefallen werden, wenn wir uns besser kennen.« Ihre Stimme wurde leiser und leiser, bis sie fast unhörbar war, aber ihr Klang genügte, um den Gedanken Tallows beinahe sofort eine andere Richtung zu geben. Ein Teil seiner Selbstsicherheit, der eben ein gewaltiger Schlag versetzt worden war, kehrte zurück, und er löste seine Hand aus ihrem Griff, legte seine zehn Finger um das Branntweinglas, hob es in die Höhe und schüttete sich den ganzen Inhalt in den Schlund. Er schmatzte mit den Lippen, holte tief Luft und setzte das Glas so heftig nieder, daß das Besteck auf dem Tisch klirrte.
Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab, wobei ihn der scharlachrote Ärmel seiner Kordsamtjacke ein wenig behinderte, und sah sich in dem kleinen, kerzenerhellten Zimmer um. Es verschwamm ihm vor den Augen. Verdrießlich schüttelte er den Kopf, um wieder klar denken zu können, stützte die Hände auf den Tisch und stand auf.
»Miranda«, sprach er undeutlich, »ich liebe dich.«
»Schön«, schnurrte sie. »Damit wird alles soviel einfacher.«
Tallow war zu betrunken, um sich zu fragen, was damit einfacher würde. Er überhörte ihren Satz und schwankte auf sie zu. Sie stand langsam und behutsam auf und glitt ihm entgegen. Er nahm sie in die Arme und küßte ihre Kehle. Als sie sich aufrichtete, konnte er kaum noch ihren Mund erreichen. Ihre Brüste drängten sich an seine Brust, ihre Arme glitten seinen Rücken hinauf, und eine Hand streichelte seinen Nakken. Die andere bewegte sich überraschenderweise den Rücken hinab zu seinen Lenden.
»Au!« stöhnte er einen Augenblick später. »Dieser Ring tut weh!«
Sie zog einen Schmollmund, lächelte dann und streifte ihre Ringe ab. Er wand sich in seinen schwarzen, engen Samthosen
und wäre am liebsten nackt gewesen.
»Gehen wir jetzt zu Bett?« schlug sie genau im rechten Mo
ment vor.
»Ja«, willigte Tallow entschieden ein. »Ja.«
Als sie das Zimmer verließen, stützte sie seinen schwankenden Körper, und dann gingen sie die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinauf.
Sechstes Kapitel
E ine Woche verging rasch, eine Woche im Bett, ermü
dend für Tallow, aber köstlich. Miranda hatte ihm als
erfahrene Lehrerin unter anderem gezeigt, daß er ein Mann war. Ein Mann, der obendrein gelernt hatte, Miranda Vergnügen zu bereiten. In dieser Woche hatte er noch etwas gelernt. Er konnte seine Gefühle jetzt besser zügeln, konnte sowohl Verlangen als auch Ausdruck mehr in die Hand bekommen.
Tallow lag neben der schlafenden Miranda im Bett und versuchte, das Laken fortzuziehen, das sie verhüllte. Seine Augen waren den Anblick noch nicht satt geworden, wie sie nackt und ihm ausgeliefert dalag. Die Wahrheit war, wie Tallow selbst zugeben mußte, daß meistens er ihr ausgeliefert war.
Miranda war jedoch eine Frau und zog nur den richtigen Vorteil aus ihrer Überlegenheit. Tallow blieb ihr in Liebe verbunden und war es zufrieden. Kam es dann zu einem Nachgeben auf ihrer Seite, manchmal sogar zu Bitten, so war das wirklich der Mühe wert. Doch Tallow, das menschliche Zerrbild, war auf dem besten Weg, aus Erschöpfung zum Wrack zu werden. Er schlief länger, liebte nicht mehr ganz so ungestüm (dafür geschickter) wie in den beiden ersten Nächten seines Aufenthalts. Außerdem konnte Miranda nie wirklich zufriedengestellt werden.
Selbst nach zehn Stunden Schlaf fühlte sich Tallow nicht ausgeruht, fand sich aber damit ab. Er war glücklich und manchmal traurig, wenn Miranda ihn verletzte, aber die Freude überwog die Schmerzen bei weitem.
Als er eben ihre Brüste aufgedeckt hatte,
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