Die goldene Barke
wachte sie auf. Sie blinzelte und machte dann die Augen so weit auf, wie es ging, blickte ihn an, blickte an sich hinab und zog das Laken sanft und aufreizend wieder bis zum Kinn hinauf. Tallow brummte enttäuscht, stützte sich auf einen Ellbogen, schmiegte den Kopf in die Hand und starrte auf sie herab. »Guten Morgen«, sagte er mit gespielter Härte.
»Morgen, Jephraim.« Sie lächelte wie ein Schulmädchen und entfachte seine Zärtlichkeit, sein Verlangen.
Er warf sich in einem Wirrwarr von Tüchern und Decken
über sie. Sie lachte, keuchte, war ein paar Sekunden still und
küßte ihn dann.
»Mein Gott«, sagte sie. »Du bist gut.«
»Danke.« Er lächelte boshaft. »Das galt für letzte Nacht.«
»Ich hab’ das doch verdient, oder?« sagte sie und starrte ihm in die Augen.
»Doch, doch.« Er wälzte sich zur Seite und setzte sich im Bett auf. »Du brauchst mich, oder?« sagte sie leise hinter ihm. »Ja«, erwiderte er, schwieg dann und dachte nach. Er hatte die Frage zu rasch beantwortet. Bevor er es sich noch überlegt hatte, sagte er schon: »Wenigstens glaube ich das.«
Ihre Stimme klang leise und unverändert. »Was meinst du, du glaubst es?«
»Entschuldigung.« Er lächelte, wandte sich ihr zu und blickte auf sie hinab. »Entschuldigung, ich weiß nicht, was ich gemeint habe.«
Da runzelte sie die Stirn und veränderte ihre Lage im Bett. »Ich auch nicht«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was du meinst. Was hast du denn gemeint?«
»Das hab’ ich dir gesagt«, entgegnete er und stellte fest, daß
er ein Narr war. »Ich weiß es nicht.«
Sie legte sich auf die Seite, der Wand zu, von ihm weggedreht. »Entweder du brauchst mich, oder du brauchst mich nicht«, sagte sie.
»Genaugenommen stimmt das nicht.« Tallow seufzte. »Ich kann dich brauchen und auch nicht. Es gibt Dinge, die man zu bestimmten Zeiten braucht. Ich brauche dich manchmal.« Ich habe recht, dachte er, denn es war ihm jetzt klar, und vorher war das nicht so gewesen. Sie schwieg.
»Es stimmt, Miranda.« Er wußte, es wäre besser aufzuhören,
aber er konnte es nicht. »Du siehst doch sicher ein, daß es
stimmt?«
Sie schwieg.
»Die Liebe ist nicht alles«, mu rmelte er stockend, kam sich unsicher und geschlagen vor.
»Wirklich nicht?« Ihre Stimme klang gedämpft, aber kalt. »Nein!« sagte er zornig und stand auf.
Er zog seine Sachen an, ging zum Fenster hinüber und riß
gehässig die Vorhänge auf.
Draußen regnete es.
Er stampfte aus dem Zimmer ins Bad. Er fühlte sich verwirrt und verärgert, konnte das Gefühl jedoch nicht deuten. Er wußte, daß er irgendwie recht hatte, wußte, daß er nicht so mit ihr hätte sprechen sollen, und war doch froh, daß er es getan hatte. Er ging, und der Boden fühlte sich unter seinen nackten Füßen kalt an, und er konnte den Regen auf die Erde und das Dach prasseln hören. Der Tag war trüb und paßte zu seiner Stimmung.
Beim Frühstück kam sie rasch über ihre Gereiztheit hinweg, und schon bald hatten sie zumindest für den Augenblick ihren Streit vergessen.
»Was machen wir heute?« fragte sie und setzte ihre Kaffeetasse ab.
»Wir reiten«, antwortete Tallow aus einer Eingebung des Augenblicks heraus. »Reiten. Das werden wir tun. Du hast ein paar Pferde. Ich habe sie gesehen.«
»Ich habe welche, aber ich wußte nicht, daß du reiten kannst.«
»Ich kann es nicht.« Er grinste. »Ich kann es nicht, meine Schöne, aber ich kann es lernen.«
»Freilich kannst du das.« Seine Stimmung war auf sie übergesprungen. »Aber was machen wir gegen den Regen?« »Zum Teufel mit dem Regen, er kann uns nichts anhaben! Komm, Geliebte, aufs Pferd!« Er machte eine theatralische Gebärde und rannte aus dem Zimmer. Lachend lief sie hinter ihm her.
Sie ritten den ganzen Tag lang, unterbrachen das Vergnügen gelegentlich, wenn die Sonne schien, um zu essen, um sich zu lieben. Sie ritten, und nach zwei ungewissen Stunden lernte Tallow, wie er auf seiner Stute sitzen und sie lenken mußte. Er war noch immer ein Stümper, aber sehr gelehrig. Seit der Nacht, in der er die Barke gesehen hatte, hatte er rasch viele Dinge gelernt. Die Ideen stürmten auf seinen offenen, gierigen Geist ein, und er nahm sie dankbar in sich auf.
Sie ritten also durch den Regen und durch den Sonnenschein, und sie lachten und liebten zusammen und vergaßen alles andere. Tallow thronte mit winzigem Leib und langen Beinen hoch über dem Boden auf einer Fuchsstute. Miranda, die Zierliche, versessen auf seine
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