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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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das Schiff wirklich gibt. Wenn das stimmen würde, würden wir alle noch hinter ihm herfahren. Wir hatten das Glück, zur rechten Zeit auszusteigen. Das muß der Wahnsinn hier am Fluß sein, der sie packt. Warum versucht der geistesgestörte Idiot, uns ebenfalls verrückt zu machen? Man kann gar nicht mit ihm reden, nicht in diesem Zustand. Jagen wir ihn fort.« »Weshalb belästigt er uns?« »Würde ich auch gern wissen.«
    »Kommt her und verdirbt uns das Fest. Als ich aufstand,
wußte ich schon, daß der Tag nicht gut enden würde.«
»War immer schwierig …«
»Denken, die können herkommen und …«
»Uns belästigen …«
»Wieso …?«
»Was …?«
»Wer …?«
»Wie …?«
    Tallow verlor die Selbstbeherrschung. »Ihr Dummköpfe! Ihr alle seid einmal hinter der Barke hergefahren. Ihr hattet nicht den Mut weiterzumachen oder nicht die Willenskraft, gegen den Strom zurückzukehren. Deshalb habt ihr Angst, wenn jemand kommt, der Mumm genug hat, etwas aufs Spiel zu setzen. Ihr denkt, ich bin verrückt. Also, ich sage euch was, ich bin lieber verrückt, als wie ihr hier herumzuhängen.« Jemand kicherte. Aus der Finsternis jenseits des Feuerscheins kam ein Stein geflogen. Er traf Tallow schmerzhaft am Handgelenk. »Hau ab!«
    »Ich geh’ ja schon.« Tallow rannte, besorgt um seine Sicher
    heit, los. Er hatte als Kind unter Kindern erfahren, was Menschenmengen sind. Man hatte ihn damals nicht gemocht, und er hatte nicht gewußt, wieso nicht. Er konnte sich noch immer keinen vernünftigen Reim darauf machen, hatte aber aus der frühen Erfahrung gelernt. Er konnte sie durch Schreien nicht aufhalten. Er konnte nur wegrennen.
    Er rannte durch die Nacht, fort vom Fackelschein, und er tat sich selbst leid.
    Er verlor die Orientierung und konnte das Ufer nicht wiederfinden. Er setzte sich also keuchend unter den ersten Baum, auf den er stieß, eine große Eiche. In ihrer Nähe standen keine Häuser. Er lehnte sich mit dem Rücken an den Stamm und fragte sich, wie er den rätselhaften alten Mann finden könne, den die Dörfler erwähnt hatten. Tallow fragte sich, ob Roothen wirklich etwas wußte. Wenn er den alten Mann traf, würde er es hören.
    Konnte er es wagen zu schlafen, oder sollte er sein Boot suchen und sich selbst entscheiden, welche Flußgabel zu nehmen war? Während er über das Problem nachdachte, hörte er eine schnaufende Stimme singen, und sie kam anscheinend aus dem Himmel. Er sah in die Höhe. Da muß ein Mann im Baum sein, dachte er.
    »Hallo, junger Mann! Wie Sie aussehen, sind Sie Seemann. Wohin des Weges?«
    Tallow konnte noch immer nichts sehen. »Hallo«, sagte er vorsichtig und spähte in die Zweige hinauf. »Ich fahre flußabwärts.«
    »Welche Flußgabelung nehmen Sie?« Der Frage folgte ein
brüchiges, altersschwaches Lachen.
»Bin mir nicht sicher.«
»Kommen Sie rauf zu mir.«
    In den Zweigen oben raschelte es, und etwas flog aus der Luft herab und traf Tallow an der rechten Schulter. Tallow holte tief Luft und fluchte. Er untersuchte den Gegenstand und merkte, daß es sich um das Ende einer Strickleiter handelte. Mit einem Achselzucken kletterte er hinauf.
    Die Leiter endete etwa in halber Höhe des Baumes und war an einer grob gezimmerten Plattform befestigt, die fest und sicher aussah. Tallow zog sich auf die Plattform hinauf und erkannte in der Dunkelheit das fahle Gesicht eines alten, verrunzelten Mannes, der ihn mit schiefem Mund angrinste und aus Augen ansah, die auf eine seltsame Verrücktheit schließen ließen. »Wer sind Sie?« wollte Tallow wissen.
    »Roothen, der alte Roothen. Ich bin verrückt, müssen Sie wissen. Das sagen wenigstens die Narren. Aber ich bin nicht verrückt, nicht verrückter als Sie selbst.«
    »Sie folgten der Barke? Was wissen Sie über sie?«
    »Welcher Barke?« Die Frage kam vorsichtig, ein Flüstern wie das Rascheln welker Blätter.
    »Der goldenen Barke. Jemand sagte mir, daß Sie sie gesehen haben.«
    »Ach, ich habe sie tatsächlich gesehen, wirklich. Ich folgte ihr dreihundert lange Meilen den Fluß hinab.« Der alte Mann wimmerte erbärmlich, und Tallow ekelte sich. »Ich bin ihr gefolgt, junger Mann. Ja, das bin ich.« »Warum haben Sie hier damit aufgehört?«
    »Weshalb haben Sie es getan, warum die anderen?«
    »Ich war mir nicht sicher, welche Flußgabelung ich nehmen sollte.«
    »Ich auch nicht, mein Freund, und die ebenfalls nicht.«
    »Man sagt doch, Sie sind dreißig Jahre hier. Stimmt das?«
    »Dreißig? Ja, es können dreißig Jahre

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