Die goldene Galeere
gekränkter Eitelkeit - zu einem guten Teil zumindest. Aber wie sollte er das andere Gefühl deuten, das in ihren Augen zum Ausdruck kam?
War es eine Spur Reue über den vorschnellen Entschluss? Oder eine leise Hoffnung, dass er trotz einer einmaligen Schwäche noch zu dem werden konnte, den sie einmal in ihm gesehen hatte?
»Ich habe von dir verlangt, dass du Mythor leiden lässt«, sagte sie nun an Drundyr gewandt. »Ein Dolchstoß aber würde ihm einen zu schnellen Tod bereiten. Welche Qualen würde er dagegen erleiden, wenn er so, wie er ist, gegen den nassen Tod ankämpfen müsste. Wirf ihn ins Meer, Drundyr!«
»Dein Vorschlag hat etwas für sich«, sagte der Caer-Priester überlegend. »Aber ich traue es diesem zähen Burschen zu, dass er auch das überlebt. Er ist selbst dem Vallsaven entkommen.«
»Damals waren seine Hände nicht gebunden«, erwiderte Nyala. »Aber selbst wenn er das Unglaubliche vollbringt und sich ans Ufer retten kann, erwarten ihn dort die Barbaren. Sieh nur, wie sie sich vor Wut förmlich verzehren. Mythor wäre ein willkommenes Opfer für sie.«
Drundyr blickte nachdenklich zum Ufer, wo sich die wilde Horde in wahre Raserei gesteigert hatte. Sie benahmen sich wie ausgehungerte Wölfe, die die nahe und doch unerreichbare Beute an den Rand des Irrsinns trieb.
»Es sei!«
Drundyr hatte es kaum gesagt, da fühlte sich Mythor an der Lanze hochgehoben. Er hing nur an den gefesselten Armen. Die Fesseln schnitten ihm tief in die Handgelenke, in seinen Schultern war ein flammender Schmerz, als würden ihm die Arme aus den Gelenken springen.
Und dann flog er in weitem Bogen über Bord, ohne dass ihm noch ein letzter Blick auf Nyala vergönnt gewesen wäre.
Er sog die Luft tief ein, bis er meinte, es würde ihm den Brustkorb sprengen - und bis das Wasser über ihm zusammenschlug.
Obwohl ihm die Klinge schmerzhaft in den Rücken schnitt und die Spitzen der Widerhaken gegen seine Schädeldecke schlugen, strampelte er wie wild mit den Beinen, um an die Wasseroberfläche zu kommen. Dabei hielt er die Augen offen, um im trüben Wasser nach den Schatten von Seeungeheuern zu spähen. Gleichzeitig winkelte er die Arme weiter an, bis seine Handfesseln über die Klinge des Lanzenschafts glitten.
Mythor tauchte auf und schöpfte erneut Luft, bevor sein Körper wieder sank. Er sah kurz die Breitseite der Goldenen Galeere, über deren Bordwand ihn aus maskenhaften Knochengesichtern mitleidlose Augen ansahen. Dann ging er wieder unter.
Diesmal vergeudete er seine Kräfte nicht mit Wassertreten, sondern zerrte an seinen Fesseln, bis er spürte, dass sie nachgaben. Strick um Strick wurde von der Klinge zerschnitten, und dann war er frei.
Japsend tauchte er auf, die Hakenlanze nun als Waffe am Griff haltend. Er war frei und konnte sich auch gegen Angriffe der Bestien aus der Unterwasserwelt wehren. Aber noch schienen die Ungeheuer aus der Tiefe ihn nicht gewittert zu haben. Dafür hatten ihn andere Feinde ausgemacht.
Ein Blick zum Ufer zeigte ihm, dass er von den mordlüsternen Barbaren bereits sehnlichst erwartet wurde.
Er hatte nun die Wahl, sich schwimmend über Wasser zu halten, bis seine Kräfte erlahmten oder ein Meeresungeheuer ihn witterte. Die andere Möglichkeit war, sich an Land zu begeben und sich den Barbaren zum Kampf zu stellen.
Er entschied sich für letzteres, wie gering ihm seine Überlebenschancen auch erschienen. Aber das Meer war nicht sein Element, und an Land konnte er sich wenigstens seiner Haut wehren und wie ein Mann im Kampf fallen.
Langsam, um seine Kräfte nicht zu vergeuden, schwamm er dem Ufer zu. Ein Blick zurück zeigte ihm, dass sich die Goldene Galeere aufs offene Meer entfernte.
Er schenkte Nyala einen letzten wehmütigen Gedanken, dann widmete er seine ganze Aufmerksamkeit der Gefahr, die vor ihm lag.
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