Die goldene Göttin
an, als ob sie ein Kind wäre, das Königin spielt. Sie trug eine prächtige Kriegsausrüstung, wie es sich für eine Herrscherin an der Spitze ihrer Armee gehört, und mit Oranas’ Zeremonienschwert in der Hand sah sie sehr eindrucksvoll aus. Aber Kronos ließ sich nicht beeindrucken.
Sein Blick wischte all ihren Glanz beiseite. ›Du mußt Ylni sein‹, sagte er. ›Wo ist deine Mutter, Mädchen?‹ Mit neun Worten hatte er sie erledigt.« Die Alte lächelte und genoß noch einmal den längst vergangenen Augenblick. »Ylni wurde wild. ›Sie ist im Feuersee!‹ schrie sie. ›Und dort wirst du auch enden!‹
›Ich könnte dich töten‹, sagte Kronos sehr ruhig, aber so, daß alle ihn hören konnten, ›doch ich brauche dich, um die heilige Prophezeiung des Manu zu erfüllen. Du bist die Erstgeborene, nicht wahr?‹
Ylni begriff, daß bloße Worte ihr nicht weiterhelfen würden, weil Kronos’ Stimme die eines Gottes war, während die ihre im Vergleich damit ein jämmerliches Quietschen war. Sie gab ein Signal, und ein Trupp von Speerträgem, insgesamt fünfzehn Mann, stürmte vor, um ihn einzukreisen und mit ihren Speerspitzen in den Feuersee zu drängen. Sie hatten noch keine zehn Schritte getan, als Kronos ohne ein Zeichen von Eile seinen Silberstab hob und damit auf ihre Füße deutete. Der Boden unter ihren Füßen erglühte. Die Stimme der Alten wurde zu einem dramatischen Flüstern. »Ich war hundert Schritte entfernt, aber ich konnte es deutlich sehen. Ihre Füße schmolzen unter ihnen, und sie fielen auf die glühende Erde, wurden schwarz und zerfielen zu Asche, Rüstungen, Waffen, Knochen und alles, und das Ganze dauerte nicht so lange, wie ich Zeit zum Erzählen brauche.
Kronos hatte sich so mühelos verteidigt, daß alle von Furcht ergriffen wurden. Es war eine solche Stille, daß alle ihn gehört hätten, selbst wenn er nur mit der Stimme eines Menschen gesprochen hätte.
›Ich bin Kronos‹, sagte er, und sein Blick ging über alle hin, die am Berghang zitterten. ›Ich habe die Macht über Leben und Tod wie noch kein Herrscher vor mir. Mein Kommen war von dem Manu vorhergesagt worden, also soll das Königreich von diesem Tag an Manukronis heißen. Bewohner von Manukronis! Wohlstand und Sicherheit werden in all den kommenden Jahren euer sein. Männer von Manukronis! Es wird Arbeit für alle geben, und Freuden, von denen wenige je zu träumen wagten. Frauen von Manukronis! Es wird Nahrung für jeden geben, sei er arm oder reich. Nicht länger werden Kinder und Alte Hungers sterben, während andere sich am Raub mästen. Wohlstand, Freude und ein langes Leben gehören allen, die unter meiner Herrschaft und unter der Obhut der Yolarabas leben.‹ Seine Stimme dröhnte über die Menge hin und riß sie mit. Er hatte das Recht zu herrschen bereits gewonnen; nun hatte er mit ein paar Worten auch die Herzen der meisten Untertanen erobert. Er wandte sich wieder an die entsetzte Königin. ›Ylni‹, sagte er, ›die goldene Göttin heißt dich als ihre Priesterin willkommen. Führe die Schwestern zum Tempel zurück und halte alles für heute abend bereit, wenn ich dich dort besuchen werde.‹
Er nahm seinen Blick von der Königin und überschaute die waffenstarrenden Truppen. Er sagte nur ein Wort: ›R’cagn.‹
Der General, von vielen Jahren guten Lebens dick geworden, aber immer noch ein fähiger Krieger, eilte vorwärts, um sich dem neuen König vorzustellen. Er riß seinen Helm vom Kopf und verneigte sich so tief, daß sein entblößter Nacken in Gürtelhöhe des neuen Königs war, wie es bei Kriegern Sitte ist, die sich unterwerfen.
›Steh aufrecht‹, sagte Kronos. ›Es gibt nur eine Aufgabe für eine Armee, und die ist, den Frieden zu bewahren. Von nun an sollen deine Soldaten Wächter heißen, und ihre Pflicht wird sein, jene zu bestrafen, die die Gesetze von Manukronis brechen. Heute nachmittag wirst du in den Palast kommen, damit ich dir diese Gesetze sagen kann.‹
›Herr‹, fragte R’cagn, ›soll ich Männer vorausschicken, um den Palast für deine Ankunft vorzubereiten?‹
Kronos lachte. Ylni, die sich an der Spitze der Schwesternschaft zum Gehen gewandt hatte, blieb bei dem Klang stehen und blickte zu ihrem Nachfolger zurück. Sie muß vor Wut gekocht haben, als sie seine Antwort hörte. ›Ich gab der Königin sechs Tage Frist, den Palast zu räumen‹, sagte der König. ›Ich bin sicher, daß sie alles, was sie zurückgelassen hat, mir zu übergeben wünschte‹. Aus der
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