Die goldene Königin
bewegen.«
Am nächsten Tag besuchten sie die Händler der Stadt, unter denen eine heitere Atmosphäre herrschte. Es mischten sich Tuch- und Seidenverkäufer, Buchmaler und -binder, Sattler, Glasmacher, Apotheker, Trödler, Barbiere und Schneider trafen aufeinander, Brothändler, Vogelfänger, Wirte, Gemüsebauern, Bandhersteller und Flickschuster riefen alle durcheinander. Ãberall blieb Mathilde stehen. Der weiche italienische Akzent betörte sie, ebenso wie er ihre Tante betört hatte.
Die Stadt war mit groÃen eckigen Steinplatten gepflastert und wirkte luftig und groÃzügig. Die alten Haustüren waren aus Bronze, und die weiÃen, ocker- oder rosafarbenen Fassaden wurden von groÃen Fenstern durchbrochen, durch die das Licht hereinfiel.
Die Glocken der Kathedrale San Giovanni mit den unver gleichlichen geschnitzten Türen schlugen jede Stunde. Der stre nge Palazzo Medici, ein groÃes Gebäude, das von auÃen etwas schwerfällig wirkte, bot im Inneren, wie es hieÃ, prächtige Zim merfluchten. Doch da sie ihn nicht betreten konnte, sah Mathild e davon nichts. Es spielte auch keine groÃe Rolle, da sie dort nicht die Söhne von Alessandro van de Veere antreffen würde.
Als die Glocken des Campanile, die aus Olivenhainen herausragten, zu läuten begannen und sich mit anderen Glockenspielen und Glocken zu einer fröhlichen Kakophonie vereinten, begann Mathilde zu träumen. Sie stellte sich ihren Vater in seiner Umgebung vor: Möbel mit Intarsien, verzierte Konsolen, wertvolle Wandbehänge, leuchtende Fresken, byzantinische Spiegel, bronzene Engel, Truhen, auf denen antike Szenen abgebildet waren. Nichts schien zu prächtig für ihn.
Nachdem Mathilde von all dieser Pracht gesättigt war, beschloss sie, an die Tür der van de Veeres zu klopfen. Als man ihr in dem Haus an der Piazza Giovanna die Tür öffnete und Mathilde darum bat, den Hausherrn zu sprechen, lieà man sie ohne Weiteres eintreten und vor den Bogen der hübschen Renaissancefassade warten.
In einem der schönen Kleider ihrer Tante, das in weichen Falten anmutig über ihren Rücken und die Flanken des Pferdes fiel, denn natürlich saà sie stolz auf Fildor, wirkte Mathilde beinahe königlich. Sie hatte beschlossen, ihre französische Haube zu behalten, und trug zu ihrem leuchtend roten Kleid eine schwarze Samtkappe mit einer breiten Bordüre aus rotem und goldenem Seidenbrokat, unter der ihre Haare kaum zu sehen waren. Die Seiten umrahmten ihr Gesicht und brachten die feinen Züge noch besser zur Geltung.
Sie sah sogleich, dass sie die gewünschte Wirkung erzielte. Daher beschloss sie, die Kühne zu spielen, ihre Lieblingsrolle.
»Ich möchte zu Sire van de Veere«, erklärte sie dem Mann, der ungefähr zehn Jahre älter als sie war und mit geschmeidigem Schritt auf sie zukam. Er war groà und von schöner Gestalt, besaà goldbraune Augen und einen klaren Teint. Sie spürte, wie er sie argwöhnisch aus der Ferne beäugte.
»Das bin ich.«
Sie hielt die Zügel fest in der Hand und hätte Fildor fast eine der eleganten Figuren ausführen lassen, die er so liebte. Doch sie beherrschte sich und konzentrierte sich auf die Worte, die sie beschloss, auf Französisch zu sprechen.
»Ich werde Euch direkt sagen, worum es geht«, sagte sie und sah den Florentiner an, während sie ein zweideutiges Lächeln auf ihre Lippen zauberte. »Aber wenn ich ungelegen komme, lasst es mich sogleich wissen, und ich werde dieses Haus so schnell verlassen, wie ich gekommen bin.«
Da der Mann sie betrachtete, ohne ein Wort zu sagen, fuhr sie fort:
»Ich bin Französin und heiÃe Mathilde de Cassex. Ich wohne in Frankreich in dem schönen Val de Loire. Bevor ich Florenz wieder verlasse, wollte ich jedoch die Millefleurs gesehen haben, die meine Mutter gewebt und Eurem Vater geschenkt hat, der auch mein Vater ist.«
Sie sah, wie der Mann den Mund auf eine Weise verzog, die ihr nicht gefiel, und hörte ihn auf Italienisch fragen:
»Ist das eine Erpressung?«
»Ihr täuscht Euch, Sire van de Veere. Ich benötige weder Anerkennung noch Geld noch irgendeine Zuneigung von Eurer Seite.«
»Mein Vater hat Euch nie erwähnt, und das genügt mir, Euch nicht zu glauben.«
Noch immer saà Mathilde schön und stolz auf ihrem Pferd. In Sekundenschnelle erinnerte sie sich all der
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