Die goldene Königin
Italienischstunden, die die Duchesse dâAlençon ihr erteilt hatte, und entgegnete schroff:
»Euer Vater hat Euch womöglich nichts gesagt, weil Euer Kleingeist sich nicht mit seinen Werten vertrug. Tatsächlich besitzt Ihr nicht seine GröÃe!«
Dann bemerkte sie in dem Rahmen der groÃen geschnitzten Tür einen weiteren Mann, dem eine junge, etwas rundliche kleine Frau folgte. Zweifellos war sie schwanger, denn sie legte schützend die Hände auf ihren Bauch. Wie in Florenz üblich, hatte sie Bänder in ihre hochgesteckten Haare geflochten. Während Philippo van de Veere auf Mathilde zuging, blieb die Frau zurück. Eine Dienerin mit weiÃer Haube und Schürze hielt sich hinter ihr.
Das war der Augenblick, in dem Mathilde entschied, ihr kleines Publikum zu beeindrucken. Geschickt führte sie Fildor und lieà ihn eine halbe Drehung auf den Hinterläufen ausführen. Das Pferd, das nur auf diesen Moment gewartet hatte, fügte sich bereitwillig Mathildes Laune. Es bäumte sich auf, wieherte und schüttelte seine Mähne, dann führte es unter dem festen Griff seiner Herrin auf tadellose Weise eine ganze Drehung aus.
»Ich möchte Euch nicht unnötig belästigen«, fuhr Mathilde auf Italienisch fort. »Ich bin eine Webertochter, und deshalb würde ich gern die Arbeit sehen, die meine Mutter voller Leidenschaft für meinen Vater gewebt hat. Das würde mir helfen, einiges besser zu verstehen.«
Philippo van de Veere musste ungefähr dreiÃig Jahre alt sein, etwas älter als sein Bruder. Er sah ihm überhaupt nicht ähnlich, denn er war klein, gedrungen und besaà ein von der Natur wenig begünstigtes Gesicht. Allerdings leuchteten seine Augen in einem strahlenden Blau, während jene von Leonardo, der sie so herablassend empfangen hatte, dunkle Blitze aussandten. Dennoch erkannte Mathilde, dass sie Brüder waren.
Trotz seiner unvollkommenen Physiognomie hatte Philippo ein offenes, freundliches und herzliches Gesicht. Und wenn man ihn betrachtete, vergaà man über seinem strahlenden Blick die Schönheit seines Bruders. Er reichte Mathilde die Hand.
»Was zu verstehen?«, fragte er mit sanfter, melodischer Stimme auf Französisch.
»Die Liebe zwischen ihnen«, antwortete Mathilde auf Italienisch.
Die junge Frau, die noch kleiner als ihr Mann war, trat vor, fasste seinen Arm und zog ihn zurück. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Meine Frau fragt mich, ob Eure Mutter noch lebt.«
»Natürlich. Sie hat wieder geheiratet, und meine Zwillingsschwester und ich â¦Â«
»Eure Zwillingsschwester? Ihr habt eine Zwillingsschwester?«
»Meine Mutter hat ganz in der Nähe des Ortes, an dem Euer Vater gefallen ist, zwei Mädchen zur Welt gebracht. Sie hat uns während der Besatzung Bolognas im Kanonendonner geboren.«
»Zwillinge!«, flüsterte die junge Frau bestürzt, die sich die schrecklichen Einzelheiten der Schlacht von Bologna lieber nicht vorstellen mochte, geschweige denn die Geburt der zwei Mädchen.
»Ja. Eine sieht aus wie die andere.«
Nun trat Leonardo van de Veere mit gerunzelter Stirn nach vorn. Er schien etwas begriffsstutzig zu sein. Doch sein älterer Bruder lieà ihn gar nicht erst zu Wort kommen und wechselte von Französisch, das ihm offenbar etwas schwerfiel, auf Italienisch, das ihr Neuankömmling so gut zu sprechen schien.
»Mein Bruder ist misstrauisch, aber ich weiÃ, dass er Euch glaubt.«
Leonardo trat noch einen Schritt vor.
»Das stimmt nicht. Ich glaube diesem Mädchen nicht.«
»Das ist für mich nicht von Bedeutung«, entgegnete Mathilde kühl. »Ich bin nicht gekommen, um Verständnis von Eurer Seite zu erhalten. Ich sehne mich nach einer geistigen Erhellung. Nichts weiter.«
Die junge Frau reichte ihr die Hand.
»Ich bin Lucrecia. Steigt von Eurem Pferd und kommt. Ich werde Euch die Millefleurs Eurer Mutter zeigen. Sie hängen noch immer im Arbeitszimmer von Alessandro.«
Auf den ersten Blick wirkte das streng anmutende Haus, das wie eine mittelalterliche Burg mit Zinnen versehen war, sehr alt. Doch die mit schönen ockerfarbenen Steinen verzierte Fassade, in die zahlreiche Fenster eingelassen waren, passte gut in die neue Epoche, die man die Renaissance nannte.
Als Mathilde das Innere des Hauses betrat, spürte sie sogleich die
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