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Die goldene Königin

Die goldene Königin

Titel: Die goldene Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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herrschaftliche Atmosphäre und die erlesene Pracht der Einrichtung. In diesen Räumen mussten einige große Künstler zu Gast gewesen sein. An den Wänden hingen riesige Gemälde. Engel, Götter, Nymphen, fremde Tiere und feurige Gespanne. Diese Motive wiederholten sich auf den Tapisserien. Weltliche und religiöse Themen mischten sich. Moses, Abraham, Hiob, Salomon und andere Erzväter der Bibel trafen auf Cäsar, Jason, Herkules und diverse Götter des griechischen und römischen Pantheons.
    Venus spielte auf der Harfe, Najaden plantschten im Wasser, Satyrn beobachteten junge Mädchen, und all diese außergewöhnlichen Figuren mischten sich mit der Jungfrau und dem Kind, dem Kreuzweg, dem thronenden Christus und Heiligen im Todeskampf.
    Als Lucrecia Mathilde ins obere Stockwerk führte, hielt ihr Mann sich etwas im Hintergrund, als wolle er seiner Gattin signalisieren, dass sie die Dinge ruhig in die Hand nehmen solle.
    Fast alle Tapisserien stammten aus Flandern, waren jedoch italienisch inspiriert und zeigten wunderschöne Allegorien. Mathilde war entzückt und fühlte sich besonders von einem prächtigen Wandbehang angezogen, der zu dem riesigen Ensemble Die Wandteppiche der Monate gehörte. Die Tapisserie stellte den Monat September dar. Darauf war ein nackter Gott abgebildet, dessen Schenkel nur knapp von einer geflochtenen Liane bedeckt waren. Den einen Arm hielt er hoch, während er den anderen lächelnd und mit heiterem Gesichtsausdruck nach unten hängen ließ. Als Symbol für den Herbst und die Weinlese rankten Trauben um seinen blonden Schopf.
    Dann ließ Lucrecia sie, gefolgt von den beiden Brüdern, von denen der eine schwieg und der andere noch immer auf der Hut zu sein schien, in einen kleinen Salon treten, der früher dem Hausherrn als Arbeitszimmer gedient hatte.
    Mathilde hob den Blick und sah die prächtige Szenerie, die ihre Mutter gewebt hatte. Es war ein wundervoller Millefleurs auf dunkelblauem Grund. Den Mittelpunkt der Tapisserie bildeten zwei Figuren. Ein Edelmann reichte einer Dame eine Blume, die ihre Hand ausstreckte, um sie entgegenzunehmen. Ihre prunkvollen, kostbaren Kleider erstrahlten in prächtigen Farben. Die Gesichter waren klar, und ihre Blicke verschmolzen miteinander. Im Hintergrund floss kristallklares Wasser aus einem Brunnen, und das Gras war von unendlich vielen kleinen Blumen übersät. Vor ihnen sprang ein Hase vorbei, zwei Vögel flogen davon, und zu Füßen der Dame saß ein Windhund.
    Die Tapisserie war nicht sehr groß, aber so hinreißend schön, dass sie einen sachkundigen Liebhaber beeindruckte.
    Â»Mein Bruder wollte sich schon häufig von ihr trennen, aber ich habe mich immer dagegen gewehrt.«
    Â»Danke«, sagte Mathilde schlicht.
    Das Wort traf Philippo van de Veere offenbar direkt ins Herz, denn er trat auf das junge Mädchen zu und sagte:
    Â»Ich bin Euch nicht feindlich gesinnt. Glaubt mir. Mein Bruder auch nicht, auch wenn er verärgert wirkt. Wir hegen einen Groll gegen Eure Mutter . Sie hat uns die Zeit geraubt, die unser Vater uns hätte widmen sollen.«
    Er wandte sich an Leonardo, der Mathilde noch immer finstere Blicke zuwarf:
    Â»Erkläre es ihr. Sie wird es verstehen.«
    Aber Leonardo lachte nur höhnisch auf, und Mathilde fragte sich, ob Philippo nicht die Wogen glätten wollte. Schließlich erklärte Philippo:
    Â»Unser Vater hat unsere Mutter nie geliebt, genauso wenig wie seine zweite Frau und selbst Maria de Medici nicht, seine offizielle Mätresse, die meinen Bruder und mich im Palazzo Medici aufgezogen hat. Ohne sie wären wir arme Waisenkinder gewesen, zwar reich, aber einsam und verlassen.«
    Leonardo baute sich vor Mathilde auf und musterte sie mit herausforderndem Blick:
    Â»Und Eure Mutter hat er auch nicht geliebt.«
    Â»Das stimmt nicht, und das weißt du«, stellte sein Bruder richtig. »Unser Vater hat nur sie geliebt. Wir haben noch nie solche Briefe gelesen wie die, die beide sich geschrieben haben, wenn sie voneinander getrennt waren.«
    Â»Ihr meint Liebesbriefe?«
    Â»Nun ja, Liebesbriefe!«
    Leonardo zuckte mit den Schultern. Lucrecia trat zu ihm und nahm seine Hand. Die Geste schien ihn zu besänftigen.
    Â»Komm«, tröstete sie ihn, »es ist sinnlos, alten Groll zu hegen. Dein Vater ist nicht mehr da, aber diese Frau lebt noch. Sie hat wieder geheiratet und ein Buch mit einer

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