Die goldene Meile
sich Funktion und Anmut vereinten. Eine war abgestürzt. Sie lag auf der Seite; Strom- und Wasserleitungen waren herausgerissen. Die Stadt und die Historische Kommission hatten sich jahrelang wegen des Gebäudes gestritten, denn früher hatte sich die Moskauer Intelligenzija regelmäßig in der Orlow'schen Wohnung getroffen, um große Ideen zu diskutieren, Gedichte zu lesen und zu trinken.
Jessenin, Majakowski und Blok hatten dazugehört - zu einer Zeit, wie Viktor es ausdrückte, als Lyrik noch keine romantische Sülze war. Viktor konnte sie alle auswendig rezitieren. Manche bezeichneten das Gebäude als Haus der Dichter. Auf leisen Pfoten kam eine Katze zwischen leeren Flaschen und Löwenzahn über den Hof geschlichen. Zwei kleine Kätzchen sahen ihr von einem Bett aus schmutzigen Handtüchern zu.
Viktor wirkte erfrischt. Das Zittern hatte sich gelegt, und als er den Preis für eine Eintrittskarte zur »Nijinski-Messe« hörte, war er hellwach.
»Zehntausend Dollar, nur um durch die Tür zu kommen? Und das Essen ist dann gratis?«
»Wahrscheinlich. Übrigens, der Staatsanwalt hat angerufen. Er will, dass ich kündige, und er will, dass du Vera als Drogentote behandelst und den Fall abschließt.«
»Moment mal. Wir sind mitten in den Ermittlungen zu einem Mordfall. Er will nicht nur dich ficken, sondern mich gleich mit. Und Vera fickt er auch. Dich meine ich nicht, Mieze.« Die Katze schlängelte sich zwischen seinen Beinen hindurch. »Und was machst du jetzt?«
»Ich gehe ins Bett.«
»Kein Kündigungsschreiben?«
»Es käme nicht von Herzen.«
»Und nachher?«
»Nachher, denke ich, wäre es doch eine Schande, sich einen Abend mit Milliardären entgehen zu lassen. Sich unter sie zu mischen. So vielen Leuten wie möglich Veras Foto zu zeigen und sich dabei gut zu benehmen.«
»Kein Problem. Ich kann einen Gedanken von Blok beisteuern: John, du bourgeoiser Hund, leck mir doch den Hintern wund.«
Viktor lächelte voller Genugtuung. »Lyrik für alle Lebenslagen.«
Arkadis Wohnung war eine ausgeprägt bourgeoise Angelegenheit mit Holztäfelungen und Parkettböden, die er von seinem Vater geerbt und immer noch nicht in Besitz genommen hatte. Keine Fotos an den Wänden. Keine Familiengalerie auf einem Konzertflügel. Die Frauen in seinem Leben waren unwiederbringlich verloren. Die Lebensmittel in seinem Kühlschrank häuften sich, bis er sie wegwarf.
Er ließ sich auf das Bett fallen, aber er schlief schlecht und sah sich im Traum in einem weißen Raum zwischen einem Tisch aus Edelstahl und einem Wäschekorb. In dem Wäschekorb lagen Leichenteile. Er hatte die Aufgabe, daraus das Mädchen zusammenzusetzen, das er Vera nannte. Das Problem war, dass der Korb auch Teile von anderen Frauen enthielt. Er konnte sie an der Farbe unterscheiden, an der Beschaffenheit der Haut und an ihrer Wärme. Aber solange er die Teile auch hin und her vertauschte, er konnte nicht eine Einzige zusammenfügen.
ELF
Im gleißenden Licht der kristallenen Kronleuchter war nichts zu teuer oder zu absurd.
Eine Vogelflinte für Kinder, die dem Prinzen Alexej Romanow gehört hatte, dem einstigen Erben von ganz Russland, stand für 75.000 Dollar zum Verkauf.
Ein Smaragdcollier aus dem Besitz von Elizabeth Taylor: 275.000 Dollar.
Für 25.000.000 Dollar bekam man eine Reise zur Internationalen Raumstation.
Ein Bordeaux, Jahrgang 1802, den Napoleon zurückgelassen hatte, als Moskau brannte: 44.000 Dollar.
Auf dem Laufsteg arbeitete sich eine Star-Tennisspielerin kichernd durch ihr Skript. »Willkommen auf der Luxusgütermesse im >Nijinski< ... ein gesellschaftliches Top-Event ... Sponsoren wie Bulgari, BMW und die Waksberg-Gruppe ... oh, mein Gott, die Einnahmen sind für Moskauer Kinderheime bestimmt. Wirklich?«
Models, so schön und schweigsam wie Geparden, hielten Ausschau nach Labels: Bentley, Cartier, Brioni. Arkadi hingegen sah aus, als sei er von einem Bestatter eingekleidet worden. Noch nie hatte er so viel Wohlwollen auf den ersten Blick und dann so tiefe Enttäuschung hervorgerufen.
Unter den vorbeischlurfenden Gästen erkannte Arkadi berühmte Sportler, Supermodels, zweitklassige Prominente, Privatbankiers und Millionäre. Arkadi schnappte ihren Tratsch auf; es ging um einen Schönheitschirurgen der Prominenz, der nach einer Messerattacke auf der Goldenen Meile aufgefunden worden war, auf dem teuersten Boden in ganz Moskau. Oder sonst wo auf der Welt.
Ein paar Frauen vor Arkadi sinnierten über die Folgen der
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