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Die goldene Meile

Die goldene Meile

Titel: Die goldene Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Heuschreckenschwarm herbeirufen.
    »Ich kümmere mich um diesen kleinen Scheißer.« Der Sohn wollte herauskommen, aber der Vater hielt ihn zurück und sagte zu Schenja: »Achte nicht auf ihn. Und, mein junger Herr, was würdest du denn als angemessenen Preis bezeichnen?«
    »Die Hälfte.«
    »Ich gebe noch ein paar Telefonkarten dazu, damit du siehst, dass ich keine schlechten Absichten habe.« »Alles in einer Tüte.«
    »Wie du willst.« Der Vater schaltete sein Lächeln ein. Beifälliges Gemurmel ging durch die Menge.
    Als Schenja und Maja gegangen waren, trat ein neuer Interessent an den Kiosk und verlangte den gleichen Rabatt von dem Vater.
    Der Alte sah ihn an. »Kannst du einen Strichcode lesen?« »Nein.«
    »Dann verpiss dich.«
     
    Schenja war noch nie aufgefallen, wie interessant der Markt mit all dem bunten Firlefanz war. Er sah CD-Ständer mit Hip-Hop und Heavy Metal, T-Shirts mit Madonna und Michael Jackson, chinesische Sonnenschirme, Moskowiter mit hoch erhobener Nase und Frauen aus Zentralasien, die Koffer von der Größe eines jungen Elefanten hinter sich herschleiften, und er hörte Explosionen, die eine Spielhalle erzittern ließen, während nebenan die Betrunkenen an der Wand lagen. Hier pulsierte das Leben, nicht wahr? Viel mehr als in den Tierbildern auf dem Wandputz im Bahnhof.
    »War das ein Trick vorhin, das mit dem Strichcode?«, fragte Maja. »Wie hast du das gemacht?«
    »Ein Zauberer verrät seine Geheimnisse nicht.«
    »Was für Geheimnisse hast du sonst noch?«
    »Es wären ziemlich popelige Geheimnisse, wenn ich es dir sagen würde.«
    »Nennen sie dich deshalb Genie? Wegen der Tricks und deiner Schachspielerei?«
    »Der Trick bei den Strichcodes besteht darin, dass es kein Trick ist. Man muss es nur ausrechnen.«
    »Oh.«
    »Und beim Schachspielen geht es im Grunde nur darum, die Züge deines Gegners vorauszusehen. Man geht Schritt für Schritt vor. Je mehr du spielst, desto leichter wird es, auf jede Möglichkeit vorbereitet zu sein.«
    »Verlierst du nie?«
    »Doch. Anfangs muss man den Gegner gewinnen lassen, damit er den Einsatz erhöht. Es geht ja nicht ums Gewinnen; es geht darum, ihnen ihr Geld abzunehmen. Das ist das Spiel im Spiel.« Er duckte sich unter einer aufgehängten Kollektion von Kondomen hindurch. Sie verhießen lang andauernde Lust in allen Farben und waren sicherlich besser als die alten sowjetischen Galoschen.
    Die Worte platzten aus seinem Mund. »Wer ist der Vater des Babys?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Das war die einzige Antwort, die Schenja nicht vorausgesehen hatte.
     

ZEHN
    Dies war nicht mehr Arkadis Moskau. Die Goldene Meile - die Gegend zwischen Kreml und Erlöserkirche - war früher ein Viertel für Arbeiter, Studenten und Künstler gewesen. Die Restaurants waren Stehimbisse gewesen, in denen man gedünsteten Kohl bekommen hatte, und die Straße hatte von Glasscherben gefunkelt, nicht von Diamanten. Aber die Leute, die hier gelebt hatten, waren verschwunden. Ausbezahlt, abverkauft, hinaus»entwickelt«, hatte man sie an den Stadtrand umgesiedelt und ersetzt durch Boutiquen und langbeinige Frauen mit Prada-Handtaschen, die vom Pilates-Kurs zur Tapas-Bar flanierten, von der Tapas-Bar zum Sushi-Shop, vom rohen Fisch zur Meditation.
    Da der Auspuff des Lada wie eine Snare Drum lärmte, hielt Arkadi am Straßenrand an, um Schenja anzurufen. Manchmal zog der Junge sich für Wochen zurück, und Arkadi fürchtete die Isolation, in die er geraten konnte. Abgesehen von den Schachspielern, die er ausnahm, hatte Schenja, soweit Arkadi wusste, keine regelmäßigen menschlichen Kontakte außer zu einer Bande von Straßenjungen unter Führung einer miesen Type namens Jegor, der in dem Verdacht stand, Obdachlose anzuzünden.
    Arkadi ließ es zehnmal klingeln. Das war seine Grenze. Er hatte gerade aufgegeben, als ein weißer Offroader, etwas kleiner als ein Eisberg, neben ihm aufragte. Eine Frau mit einer Sonnenbrille oben auf der Stirn forderte ihn mit einer Handbewegung auf, das Fenster herunterzudrehen. Ein Seidenschal war lässig um ihren Hals geschlungen, und an ihrem Handgelenk baumelte eine Goldkette.
    »Hier ist Lada-freie Zone«, sagte sie.
    »Was für eine Zone?«
    »Eine Lada-freie.«
    »Lada, wie dieses Auto?«
    »Ganz recht. In dieser Zone darf kein Lada parken. Schon gar nicht, wenn darin geschlafen wird.«
    Arkadi schaute zu Viktor hinüber, der mit Gummilippen schnarchte.
    »Wir sind in Russland?«
    »Ja.«
    »In Moskau?« »Ja, natürlich.«
    »Und

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