Die goldene Meile
befragen.«
»Aber jeder hat seinen Stil. Ein Mann, der die Tür öffnet und wenig mehr anhat als eine Pistole? Das ist auf jeden Fall ein Fashion Statement.«
Wie Arkadi sich erinnerte, hatte er nur kein Hemd angehabt, und vielleicht war er noch barfuss gewesen, als er auf ihr Klopfen die Tür geöffnet hatte. Das Merkwürdige war, dass Arkadi niemals eine Waffe trug. Er wusste nicht, warum er bei dieser Gelegenheit danach gegriffen hatte. Wahrscheinlich hatte er ein Handgemenge im Flur gehört. Wenn Anja damals Angst gehabt hatte, so hatte sie jetzt keine. Anscheinend war sie eine kleine Person, der es Spaß machte, größere Leute aus dem Gleichgewicht zu bringen.
»Sie haben nicht gesagt, was Sie von den Reichen halten.«
»Wie reich?«, fragte Arkadi.
»Millionäre. Ich meine keine Schmalspurmillionäre. Ich rede von mindestens zweihundert, dreihundert Millionen oder mehr. Oder von Milliardären.«
»Hier sind heute Abend echte Milliardäre? Dann fühle ich mich weniger wie ein Hund und mehr wie ein Klecks auf der Windschutzscheibe.«
»Wie sind Sie reingekommen?«
»Mit einer Einladung«, sagte Arkadi.
»Von wem?«
»Das weiß ich nicht. Das ist die Frage.«
Auf der Bühne war irgendetwas im Gange. Anja stellte sich auf die Zehenspitzen.
»Ich kann nichts sehen. Kommen Sie.« Sie ging die Treppe hinauf.
Der Mezzanin war dekoriert wie die Diamantenmine der Sieben Zwerge in Disneys »Schneewittchen«, das in Russland ein großer Erfolg gewesen war, aber hier waren die Edelsteine aus Flaschenglas, es gab nur einen Zwerg, und der war betrunken. Er trug immer noch seine Gummiohren und lag schlafend auf dem Boden. Dopey.
Anja winkte Arkadi zu einem Tisch, und sie setzten sich zu einem Mann, der mit seinem Handy telefonierte. Ein stahlharter Bodyguard saß weiter hinten und ließ den Blick über die Leute wandern. Seit wann schmierten Russen sich Gel ins Haar? Neben diesen Leuten kam Arkadi sich unzulänglich und struppig vor.
»Waksberg«, stellte der Mann am Tisch sich vor und setzte dann seine Diskussion am Telefon fort. Er machte einen geduldigen, freundlichen Eindruck. Er war lavendelblass, trug einen schwarzen Spitzbart und war der Öffentlichkeit umfassender bekannt als Aleksander »Sascha« Waksberg, der Fürst der Finsternis. Er klappte sein Telefon zu.
»Vor einem Jahr hatten wir hundert Milliardäre in Moskau. Heute sind es weniger als dreißig. Es gibt halt gute Zeiten und schlechte Zeiten, und manchmal ist es einfach nur Scheiße. Hat sich gezeigt, dass wir nicht wissen, wie man den Kapitalismus organisiert. Das war zu erwarten. Aber zufällig weiß überhaupt niemand, wie man den Kapitalismus organisiert. Das war eine schlimme Überraschung. Zigarette?«
Waksberg schob eine flache, quadratische Packung über den Tisch, auf der stand: »Dunhill Personal Blend for Aleksander Waksberg.«
»Persönliche Zigaretten. Das habe ich noch nie gesehen.« Arkadi zündete sich eine an. »Ausgezeichnet.«
»Seien Sie nicht unhöflich«, sagte Anja. »Sascha hat dieses ganze Event für obdachlose Kinder aus eigener Tasche bezahlt und organisiert. Greifen Sie zu.«
»Nach Ihnen.«
»Das täte sie gern«, sagte Sascha Waksberg. »Unsere Anuschka ist allergisch gegen Erdnüsse und Milch. Vor allem Milch. Milch bringt sie um. Zeigen Sie's ihm.«
Anja gestattete Arkadi einen kurzen Blick auf das Notfallarmband an ihrem linken Handgelenk. »Die Reste werden natürlich an obdachlose Millionäre verteilt«, sagte sie.
»Kann sein«, sagte Waksberg. »Jemand muss die Holzköpfe im Kreml darauf hinweisen, dass wir es mit einem wütenden Mob zu tun haben. Nur, dass dieser Mob aus Millionären besteht. Bauern sind schwer in Wut zu bringen, doch die Reichen haben Erwartungen.«
»Reden Sie von Gewalt auf den Straßen?«
»Nein, nein. Von Gewalt im Vorstandszimmer.« »Ermittler Renko rechnet immer mit dem Schlimmsten«, sagte Anja. »Er schläft mit einer Pistole.« »Stimmt das?«, fragte Waksberg.
»Nein«, sagte Arkadi. »Wahrscheinlich würde ich mich damit verletzen.«
»Aber im Dienst tragen Sie eine bei sich?«
»Nicht unbedingt. Ich könnte andere verletzen. Es gibt fast immer einen anderen Ausweg.«
»Fast. Sie verhandeln also, statt zu schießen. Das ist so etwas wie ein Spiel, nicht wahr? Mit einem klaren Nachteil, wenn Sie sich verschätzen. Haben Sie sich jemals verschätzt?«
»Ein- oder zweimal.«
»Sie und Anja passen zusammen. Sie schreibt für eine Modezeitschrift, die mir gehört.
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