Die Goldhaendlerin
er so oft wie möglich an der Stelle vorbei, an der die Jüdin in der Sonne saß.
Rachel war bald schon klar geworden, dass sie das Interesse des Landesherrn auf sich gezogen hatte. Im Allgemeinen verachtete und hasste sie die Christen, doch die Blicke, die Ernst Ludwig ihr zuwarf, prickelten auf ihrer Haut. So saß sie an jedem Tag, an dem das Wetter es zuließ, auf einem Mauervorsprung am Stadtgraben und wurde selten enttäuscht. Bald beließ es der Markgraf nicht mehr bei Blicken, sondern winkte ihr zu und zügelte sein Pferd neben ihr, um sie eingehend zu betrachten.
Rachel fühlte, dass Ernst Ludwig sie begehrte, und ihr Körper reagierte auf seine Nähe mit ihr bisher unbekannten Gefühlen. Es war, als entfache der Anblick dieses Mannes ein Feuer in ihr. Nach außen hin tat sie schüchtern, schon um Gomer nicht Verdacht schöpfen zu lassen. Aber in ihr drehte sich alles nur noch um den Markgrafen und die Frage, welche Vorteile sie sich durch eine Verbindung mit ihm verschaffen konnte. Eine Liaison mit ihrem Landesherrn war die einzige Möglichkeit für sie, ihre Schwester zu übertrumpfen und eine Stellung zu erlangen, in der sie Lea das Heft aus der Hand nehmen und Elieser an deren Stelle setzen konnte.
Wenn ihr Gewissen ihr das Ungehörige dieser Pläne vor Augen hielt, dachte sie an Esther, die ja ebenfalls das Weib eines fremdländischen Potentaten geworden war. Dabei schob sie großzügig die Tatsache beiseite, dass Ernst Ludwig von Hartenburg nicht in der Lage war, seine Gemahlin zu verstoßen, wie König Ahasver es mit der Herrin Vashti getan hatte, und dass der christliche Klerus niemals eine Jüdin als Gemahlin des Landesherrn akzeptieren würde.
Als Sarah von dem Interesse des Markgrafen für Rachel erfuhr, machte sie sich Sorgen um sie, denn sie traute Ernst Ludwig zu, das Mädchen zu entführen und es entehrt in ihr Elternhaus zurückzuschicken. Auf den Gedanken, dass Rachel selbst mit der Überlegung spielte, sich dem Markgrafen hinzugeben, kam sie nicht, da sie deren Hass auf Christen kannte.
»Du bist viel zu unvorsichtig, Kind«, schalt sie sie, als Rachel an einem schönen Nachmittag Ende Juni heimkehrte.
Das Mädchen schüttelte mit einem ärgerlichen Lachen den Kopf. »Das ist lächerlich! Lea reist durch aller Herren Länder, und das heißt du gut. Mir aber machst du Vorwürfe, wenn ich durch die Straßen meiner Heimatstadt schlendere.«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich Leas Verhalten gutheiße! Aber da sie als Mann verkleidet auf Reisen geht, ist ihre Tugend weniger in Gefahr als die deine. Was ist, wenn dir irgendein Kerl auflauert und dich in die Büsche zerrt, um dich zu schänden?«
Rachel ahnte, dass Sarah mit dem Kerl den Markgrafen meinte und mit den Büschen die Burg, und verkniff sich ein spöttisches Lächeln. »Du bist zu ängstlich, Sarah. Schließlich ist Gomer stets bei mir, und außerdem meide ich einsame Stellen, an denen mir ein Mann Gewalt antun könnte. Draußen am Graben sitze ich in Hörweite der Torwachen, die mir sofort beistehen würden.«
Sarah stellte nicht zum ersten Mal fest, dass Rachel jeden ihrer Ratschläge missachtete, und wandte sich enttäuscht ab. Lea muss ihr den Kopf zurechtsetzen, wenn sie nach Hause kommt, sagte sie sich, fürchtete sich aber gleichzeitig vor einer erneuten Auseinandersetzung zwischen den Schwestern. Rachel wollte auf niemand mehr hören, am wenigsten auf sie oder Lea.
»Sie muss verheiratet werden, sonst treibt ihr hitziges Blut sie noch in den Untergang«, sagte Sarah kurz darauf zu ihrer Tochter.
Ketura brachte gerade die Warenballen in die Halle, die nicht abgeholt worden waren, um sie von dort aus mit einem Seil auf den Speicher zu befördern, in dem sie vor Dieben sicher waren. Jetzt setzte sie die Schubkarre ab, wischte sich mit einem Tuch den Schweiß aus dem Gesicht und nickte seufzend. »Du sprichst von Merab?«
Sarah hob misstrauisch den Kopf. »Was ist mit Merab?«
»Sie streicht um Elieser herum wie eine rollige Katze.«
»Ach was! Elieser ist ein Krüppel und dürfte nicht anziehend genug sein für eine junge Frau.«
»Aber er ist der einzige Mann im Haus – außer meinem ständig abwesenden Bruder, und aus dem hat Merab sich noch nie etwas gemacht.«
»Im Gegensatz zu Gomer, aber die sieht Jochanan nicht einmal an.« Sarah versuchte zu lachen, aber es war, als schlügen ihr die Sorgen über dem Kopf zusammen und nähmen ihr den Atem.
»Ich wünschte, Lea wäre zurück.«
Ketura winkte ab. »Was
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