Die Goldhaendlerin
aufragenden Bergkämme unterschieden sich stark von denen des Schwarzwalds, in dem Lea zu Hause war, denn die steil in den blauen, nur von wenigen weißen Wolken durchzogenen Himmel ragenden Grate wirkten kahl und abweisend.
Gewitzt durch den Zwischenfall am Vortag hatte de Poleur die Leinen der Plane vor der Abfahrt gelöst und das schwere Tuch hochgebunden, so dass die Passagiere mehr von der Landschaft sahen. Die Einwände eines spanischen Trossknechts hatte er mit einer Flut klangvoller französischer Flüche beantwortet und den Mann zuletzt mit einem Griff zum Schwert in die Flucht geschlagen. Doch kaum einer der acht Reisenden wollte die Veränderung so recht genießen, denn nun waren sie den Wolken feinen Staubes ausgesetzt, den die Hufe der Pferde und die Räder der vor ihnen fahrenden Wagen aufwirbelten.
Leas Kleidung machte der Schmutz nicht viel aus, denn sie war für strapaziöse Reisen gemacht und ließ sich leicht reinigen. Die bunten Gewänder der jungen Edelleute mussten am Abend von den Dienern kräftig ausgeklopft und gebürstet werden, wobei der eine oder andere kleine Edelstein seine Fassung verlor und in fremde Taschen wanderte. Als es am nächsten Morgen weiterging, entdeckten de Poleur und die anderen ihre Verluste und überboten sich in ihren Verwünschungen.
Lea beteiligte sich nicht an den Klagen über das diebische Gesinde, sondern zog ein Tuch vor Mund und Nase, um besser atmen zu können, und betrachtete das Land, durch das sie fuhren. Das breite Flusstal wirkte fruchtbar, wurde jedoch kaum bewirtschaftet. Nur selten tauchte ein Gehöft in der Ferne auf oder einer der Unterstände für die Hirten, die ihre Schafherden auf den grasbewachsenen Hügeln weiden ließen.
Nach einer schier endlos langen Reise kündeten einige niedergebrannte Gebäude an, dass die Reisenden sich Puente Genil und damit der Grenze zum Emirat Granada näherten. Die Stadt zeigte kaum Spuren des Krieges, wirkte aber wie tot. Die spanischen Truppen, die hier liegen sollten, hatten, wie man von einem Soldaten erfuhr, nach ersten erfolgreichen Scharmützeln die fliehenden Feinde bis Loja verfolgt. So mussten Lea und ihre Reisegefährten noch einige weitere Tage in den unbequemen Wagen verbringen.
Kaum war Puente Genil hinter ihnen zwischen den Hügeln verschwunden, passierte der Wagenzug eine Säule am Wegesrand, auf der in arabischen Schriftzeichen eingemeißelt war, dass hier das Reich Emir Mohammeds XII. von Granada begann. Vorrückende Spanier hatten versucht, die Inschrift herauszuschlagen, ohne sie jedoch auslöschen zu können, und zu Leas Verwunderung übersetzte Cristoforo Colombo die Inschrift für sie und ihre Begleiter. Ihren fragenden Blick beantwortete er mit einem spitzbübischen Lächeln und nahm eine Landkarte aus der Ledertasche, die er stets bei sich trug. Als er sie auseinander rollte, sah Lea, dass sie arabische Bezeichnungen trug.
»Das ist die getreue Kopie einer Karte, die arabische Seefahrer gezeichnet haben. Leider beherrsche ich weder die Schrift noch die Sprache in genügendem Umfang. Doch mein Freund Luis de Torres, der ausgezeichnet Arabisch spricht, hat mir so viel beigebracht, dass ich die wichtigsten Worte erkennen kann. So habe ich die Inschrift auf der Säule bis auf den Namen Mohammed entziffert, aber da die Zahl zwölf neben dem Namen stand, konnte es sich nur um den jetzigen Emir von Granada handeln.«
Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte der Genueser das Pergament wieder einstecken, doch dann breitete er es auf Leas Schoß aus und begann seinen Inhalt zu erklären. »Hier siehst du Kairo, hier Tunis, und hier Spanien. Und hier« – sein Finger wanderte ein ganzes Stück nach Westen, wo einige Linien den Verlauf einer unbekannten Küste darstellen sollten – »das ist die Insel Antillas, die vor der Küste Indiens liegt!«
Lea nickte lächelnd, obwohl sie genau wusste, dass sie sich nun eine mehrstündige Wiederholung seiner Pläne würde anhören müssen. Wie sie es sich mittlerweile angewöhnt hatte, lauschte sie seinen Ausführungen mit halbem Ohr und versuchte, an den richtigen Stellen verständnisvoll zu nicken, während sie die Landschaft ringsum im Auge behielt.
Zunächst waren nur die Reste niedergebrannter Dörfer zu sehen, die diese Gegend wohl zu Dutzenden bedeckt hatten. Am späten Abend erreichten sie jedoch einen unversehrten Ort, der aus einem Kreis einfacher Häuser bestand, die ein größeres, von einer weißen Kuppel gekröntes Bauwerk umgaben.
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