Die Goldhaendlerin
Platz, den es am Tisch noch gab, und der war neben ihr.
De Poleur richtete sich auf, so dass er den Genuesen über Leas Kopf hinweg anblicken konnte. »Welches weltbewegende Anliegen führt Euch denn zur Königin von Kastilien?«
»Ich will nach Indien segeln«, antwortete der Genuese so laut, dass die Gesichter ringsum sich ihm zuwandten.
»Indien?« Die meisten Mitglieder der burgundischen Delegation konnten mit diesem Begriff nicht viel anfangen. Sie hielten ihn für die Bezeichnung eines Phantasielands, von dem ein paar wichtigtuerische Händler faselten, um den Preis für ihre Waren hochzutreiben. Auch Lea wusste nicht mehr, als dass einige der kostbarsten Waren, die sie für den Hartenburger Hof beschaffte, aus Indien stammen sollten, aber sie hatte sich nie dafür interessiert, wo es lag.
»Was ist an diesem Indien denn so wichtig?«, fragte de Poleur verblüfft.
Colombo maß den Wallonen mit einem verächtlichen Blick.
»Indien ist das reichste Land der Welt. Die Häuser dort sind mit Gold gedeckt, und das Pflaster seiner Straßen besteht aus Silber. Es gibt dort Gewürze, von denen eine Unze mehr wert ist als manches Schloss.«
Der Genuese brachte es fertig, gleichzeitig zu essen und ohne Pause von den Wundern jenes sagenumwobenen Landes zu berichten. Dabei verstieg er sich zu Lobreden, die Lea gleichzeitig als schwülstig und kindisch empfand. Ihren Freunden schien das Gerede eher lächerlich vorzukommen, denn Heimbert von Kandern grinste zu Laurens van Haalen hinüber und tippte sich an die Stirn, während de la Massoulet den Genueser mit unverhohlenem Spott musterte. »Wenn dieses Indien wirklich so herrlich ist, warum ist dann noch niemand dorthin gefahren?«
»König João von Portugal schickt einen Kapitän nach dem anderen aus, um das riesige Reich auf dem Seeweg zu erreichen. Aber sie fangen es falsch an, denn sie versuchen, Afrika zu umrunden. Das ist eine viel zu weite und gefahrvolle Reise. Ich werde nach Westen segeln und weniger als die halbe Strecke benötigen, die die Portugiesen für ihre Fahrt veranschlagen.«
Colombos Fell war entweder zu dick, um die Reaktionen der anderen Gäste zu bemerken, oder er war so sehr von sich überzeugt, dass alle Anzüglichkeiten an ihm abprallten. Lea imponierte der Genuese, der so selbstbewusst auftrat, als wäre er von älterem Adel als die anwesenden Edelleute. Gleichzeitig sagte sie sich, dass ein Mann, der von Juan Perez eingeführt worden war, Verbindung zu anderen Freunden Orlandos haben mochte, und sie beschloss, ihre Bekanntschaft mit ihm zu vertiefen. Daher gab sie sich Mühe, seinen mathematischen Ausführungen zu folgen, mit denen er seine skeptischen Zuhörer davon überzeugen wollte, dass er Indien auf dem westlichen Weg übers Meer in weniger als dreißig Tagen erreichen konnte. Während die anderen schon bald das Interesse an der Sache und dem Mann verloren, ließ Lea sich von Cristoforo Colombo einspinnen und überquerte in ihrer Phantasie selbst das Meer in Richtung der untergehenden Sonne.
13.
In den nächsten zwei Tagen sah man Don Diego wie gehetzt herumeilen, und so war niemand erstaunt, dass am Morgen des dritten die Schiffe bereitlagen, die Frans von Grovius und seine Begleiter samt dem Genueser den Guadalquivir hoch bis nach Penaflor bringen sollten. Von dort aus würde die Delegation auf dem Landweg über Ecija nach Puente Genil gebracht werden, dem Ort, an dem sich die Heere Kastiliens und Aragons für den Marsch auf Granada rüsteten. Da kein anderer die Gesellschaft des redseligen Genuesen lange ertrug, musste Lea ihren Verschlag auf dem Boot mit Colombo teilen. Auch sie stöhnte manches Mal innerlich über seinen unaufhörlichen Redestrom, doch sie erkannte rasch, dass sie in den Gesprächen mit ihm ihr Kastilisch verbessern konnte, denn für jemand, der aus einem fremden Land stammte, beherrschte er die Sprache ausgezeichnet. Da er gerne und lange erzählte, erfuhr sie auch viel über die Männer, die ihm den Weg zur Königin von Kastilien geebnet hatten. Mehrere von ihnen gehörten zu Orlandos Freunden und Gewährsleuten, und sie rechnete fest damit, dass Colombo sie bei einem von ihnen einführen konnte.
Colombos Selbstbewusstsein war jedoch zu groß, um sich auf Dauer mit einem jungen Bankier als einzigem Gesprächspartner zu begnügen. Er hatte von den burgundischen Hafenstädten Brügge und Antwerpen gehört und wollte von van Grovius wissen, ob dessen Herr bereit wäre, seine Fahrt zu finanzieren, falls
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