Die Goldhaendlerin
Ein schmaler, hoch aufragender und oben spitz zulaufender Turm ließ Lea an eine Art Gotteshaus denken, ein Eindruck, der von dem mannshohen, hölzernen Kreuz auf vergoldetem Stumpf verstärkt wurde, das die Kuppel krönte.
Colombo folgte Leas Blick. »Das war einmal eine Moschee der Mauren, die man zu einer Kirche des einzigen und wahren Gottes gemacht hat.«
Lea interessierte sich jedoch weniger für die Moschee als vielmehr für die Menschen, die das Dorf bevölkerten. Die Männer trugen lange, kaftanartige Hemden in hellen Farben sowie um den Kopf gewickelte Tücher, die Frauen weite, bis zum Boden fallende Gewänder, die ihre Gestalt völlig verhüllten, und Kopftücher, die ähnlich wie die Kopfbedeckungen frommer Jüdinnen keine einzige Haarsträhne sehen ließen. Einige der besser gekleideten Frauen trugen dazu noch Schleier vor den Gesichtern, so dass man von ihnen nur dunkle, furchtsam blickende Augen erkennen konnte. Einige Männer kamen scheu näher und boten den Burgundern Orangen und Wassermelonen an. Lea sah, wie sich in ihren Gesichtern die Angst vor den Eroberern mit der Hoffnung paarte, dass die christliche Herrschaft nicht allzu drückend werden würde. Dem wohlbestellten Land nach zu urteilen mussten die Leute hier gute Bauern sein, denn auch jetzt im Winter, der auf Lea und ihre Begleiter eher wie ein milder Frühling wirkte, trugen die Felder und Haine verschiedene Früchte. Im weiteren Umkreis um das Dorf sah man, wohin man auch blickte, große Gruppen von Olivenbäumen und zwischen ihnen Orangenhaine, die gleichzeitig Blüten und Früchte trugen. Lea sagte sich, dass die Könige Kastiliens und Aragons sich glücklich preisen mussten, weil ihnen mit Granada ein so herrliches Land in den Schoß fiel.
Dieser Meinung war auch Laurens van Haalen, der als van Grovius’ Begleiter alle Provinzen des Herzogtums Burgund von den Niederlanden über Luxemburg bis an die Grenzen der Eidgenossenschaft bereist hatte. »Schönere Ländereien als in diesem Granada gibt es selbst in Burgund nicht.«
De Poleur zuckte mit den Schultern. »Von einem schönen Anblick haben wir aber nichts. Ich für meinen Teil bin froh, wenn wir endlich am Ziel sind.«
Die mürrisch dahingeworfenen Worte erinnerten Lea daran, wie viel Zeit sie schon verloren hatte. Sie stand immer wieder Höllenängste aus, dass Baramosta und seine Familie sich schon in den Händen der Inquisition befinden und ihr nichts anderes übrig bleiben würde, als sich Gewissheit über das Schicksal der Conversos zu beschaffen und mit leeren Händen zu Orlando zurückzukehren. Trübsinnige Gedanken verdrängten das Staunen über das schöne Land, durch das sie reisten, und als sie einmal durch ein besonders tiefes Schlagloch aufgeschreckt wurde, bemerkte sie, dass sich auf Cristoforo Colombos Miene ebenfalls Zweifel und Missstimmung breit machten.
In Loja erfuhren sie, dass die Truppen Kastiliens und Aragons bereits auf die Hauptstadt des Emirats vorrückten. Erst in einem Ort, den die Spanier Santa Fee nannten und der nur wenige Léguas westlich der Stadt Granada lag, erreichten sie das Heer. Kaum hatte der vorderste Wagen das Lagertor passiert, eilte ihnen der Herzog von Montoya entgegen. Er hatte die höfische Tracht mit einem goldpunzierten Harnisch, reich verzierten Achselstücken und einem federgeschmückten Helm mit Spangenvisier vertauscht. Lea musterte diesen Aufzug verblüfft. In den Augen der spanischen Damen mochte Montoya damit Eindruck schinden, aber für den Kampf schien ihr seine Ausrüstung nur wenig geeignet zu sein.
Montoya wartete ungeduldig, bis Frans van Grovius ausgestiegen war, trat dann mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu und umarmte ihn wie einen alten, lange vermissten Freund. »Bienvenido, Don Franco. Ihre Majestäten Isabella und Fernando waren sehr erfreut, zu hören, dass Euer durchlauchtigster Herr seinen besten Berater geschickt hat, um ihnen seine Glückwünsche zur Eroberung Granadas zu überbringen.«
»Noch ist es nicht so weit«, raunte de Poleur Lea ins Ohr.
Als hätte Montoya es gehört, streckte er seine Rechte nach Osten aus, wo sich hinter den Hügeln die Stadt Granada befinden musste, und lächelte. »Ihr kommt zu einer glücklichen Stunde, Don Franco, denn der Emir von Granada verhandelt bereits mit uns über seine Kapitulation.«
»Das ist wirklich eine gute Nachricht.« Frans van Grovius strahlte Montoya an, als hätte dieser ihm gerade von einem großen Sieg Maximilians von Burgund über die
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