Die Goldhaendlerin
bin und daher kein geeigneter Ehemann für seine Tochter wäre.«
Jetzt hat meine Dummheit den Graben zwischen uns noch tiefer aufgerissen, dachte Orlando bedrückt. Er sah, wie sie in die Richtung blickte, in die de Poleur und seine Freunde vor kurzem geritten waren. »Du bedauerst es wohl, dass unsere Begleiter uns verlassen haben?«
Lea zog eine Schulter hoch. »Bedauern? Nein. Sie waren angenehme Reisegefährten …«
»Im Gegensatz zu mir, willst du sagen.«
»Das kann man nicht vergleichen. Uns beide verbindet ein tieferes Gefühl, als ich es für de Poleur und die anderen je empfinden könnte.«
Orlando holte tief Luft. So ein Geständnis hatte er nicht erwartet. Zu seinem Leidwesen gab sie ihm jedoch keine Chance, einen weiteren Blick in ihr Inneres zu werfen, sondern klappte ihren Eispanzer wieder zu. »Wir sollten zum Schiff zurückkehren. Der Kapitän wird schon ungeduldig sein, und mich drängt es auch, nach Hartenburg zurückzukehren. Ich war schon viel zu lange weg, und meine Geschäfte schließen sich nicht von selbst ab.« Sie drehte ihm den Rücken zu und stieg den Hang hinab zum Rhein.
»Wenn ich dir Kleidung besorgen soll, werden wir einen Tag in Breisach bleiben müssen«, rief Orlando ihr nach, doch sie antwortete nicht mehr.
Seufzend folgte er ihr. Der Tag in Breisach würde ihre Meinung auch nicht mehr ändern, das spürte er deutlich. Er konnte es ihr auch nicht verdenken, dass sie nach Hause wollte, denn genau wie er hatte sie ihre Pflichten schon viel zu lange vernachlässigt. Vielleicht würde sie zugänglicher sein, wenn sie ihr gewohntes Leben wieder aufgenommen hatte. Er beschloss, in dem Moment, in dem er seinen Onkel und dessen Familie gut untergebracht hatte, Lea aufzusuchen und noch einmal zu versuchen, mit ihr zu reden, und wenn er so lange vor ihrer Tür sitzen bleiben musste, bis sie bereit war, ihm zuzuhören. Dann konnte er ihr endlich sagen, dass er ohne sie nicht mehr leben wollte.
2.
Nach einem herzlichen Abschied von Baramosta und den Seinen und einem erheblich kühleren von Orlando verließ Lea das Schiff in der Nähe der Sarnmündung und folgte dem Fluss, ohne sich noch ein einziges Mal umzudrehen. Nach drei Léguas oder vielmehr zwei deutschen Meilen würde sie Sarningen erreichen. Je näher sie der Stadt kam, die ihr so viel Leid gebracht hatte, umso weniger hatte sie Lust, deren Mauern zu betreten. In der kastilischen Tracht, die sie immer noch trug, würde sie dort noch stärker auffallen als in Kaftan und Judenhut. Kurz vor Sarningen entschied sie sich, den Ort zu meiden, und bog von der Straße ab. Als sie nach einem beschwerlichen Weg wieder die Hauptstraße erreichte, drehte sie sich zu der Stadt um, von der jetzt nur noch die Mauerkrone und die Kirchtürme zu sehen waren, und sprach ein stummes Gebet für ihre Lieben, die sie dort verloren hatte. Dann musste sie kräftig ausschreiten, denn die nächste Herberge lag noch zwei Stunden Fußmarsch entfernt, und sie wollte nicht auf freiem Feld übernachten.
Der dichte Wald, der kurz hinter Sarningen begann und der sie auf jener unglückseligen Reise damals geängstigt hatte, bot ihr nun die Gelegenheit, sich von Léon de Saint Jacques in den Juden Samuel Goldstaub zurückzuverwandeln. Die spanischen Kleider legte sie sorgfältig zusammen und stopfte sie in ihren Tragsack, denn sie wollte sie weder wegwerfen noch irgendwo zurücklassen, wo sie Aufsehen hätten erregen können. Sie würde sie zu Hause säubern und in ihre Kleidertruhe legen, denn es waren bittersüße Erinnerungen mit diesem Gewand verbunden.
Tief in ihren Kummer und in die Vorstellung verstrickt, ein Leben ohne Glück und ohne Liebe vor sich zu haben, verschwendete sie kaum einen Gedanken an die Tatsache, wie gefährdet ein allein reisender Jude in diesen Gegenden war. Es mochte jedoch an ihrer verschlossenen Miene liegen oder an ihrem festen, ausgreifenden Schritt, den sie sich in ihrer Rolle als Christ angewöhnt hatte, dass den Schimpfworten, die ihr hinterherflogen, weder Drohungen noch Handgreiflichkeiten folgten. Trotzdem fiel es ihr schwer, sich wieder damit abzufinden, dass ihr die Wirtsknechte beim Anblick ihres abgetragenen, fleckigen Kaftans und des aus der Form geratenen gelben Huts eine Abstellkammer oder eine schmutzige Ecke im Stall zuwiesen und ihr für teures Geld einen Napf schlechten Essens hinstellten. Zu ihrer Erleichterung verzichteten die Leute jedoch darauf, ihr Schweinefleisch vorzusetzen. Das half ihr ein wenig,
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