Die Goldhaendlerin
sich wieder an das Leben zu gewöhnen, welches sie jahrelang geführt hatte, machte ihr aber auch klar, wie stark der Aufenthalt in Spanien sie verändert hatte. Es war keine Selbstverständlichkeit mehr für sie, eine demütige Haltung einzunehmen, und sie musste oft an sich halten, um nicht die von Unwissenheit und Dummheit strotzenden Bemerkungen einiger Leute mit scharfen Worten zurückzuweisen.
Als das Tal sich weitete und Hartenburg im hellen Sonnenschein vor ihr lag, wich ihre Trauer, und sie freute sich sogar, nach Hause zu kommen. Sie sog den Anblick der Stadt in sich auf und ließ ihren Blick über die rasch fließende Sarn gleiten, die die Mauern mit ihrer engen Schleife umschloss und sich dann durch grüne Wiesen und frisch geackerte Felder schlängelte, ehe sie zwischen Eichen und Tannen wieder in den Wald eintauchte. Sie blickte zum Rauchberg hoch, dessen Flanken mit dichtem Grün überzogen waren und von dessen Gipfel auch heute wieder jene Dunst- und Nebelschwaden aufstiegen, die ihm seinen Namen gegeben hatten.
Die Wächter am Sarntor grüßten Lea freundlich und ließen sie ohne Fragen passieren. Das rief in ihr das Gefühl hervor, endlich heimgekehrt zu sein, und so schritt sie wohlgemut durch die Gassen, ohne die neugierigen Blicke der Nachbarn und das Geflüster zu bemerken, welches ihren Weg begleitete. Das Tor zum Hof ihres Anwesens stand offen, und zu ihrer Überraschung stapelten dort zwei fremde Knechte Fässer unter einem neu errichteten Vordach. Obwohl sie nur einfache Kittel trugen, konnte Lea sehen, dass es sich um Männer ihres Volkes handelte.
»Friede sei mit euch«, grüßte sie sie verwundert.
Die Knechte musterten sie nicht weniger erstaunt. »Friede sei auch mit dir, Bruder. Wen dürfen wir dem Herrn melden?«
Lea wollte schon sagen, dass sie der Herr hier sei. Doch in dem Moment sah sie Eliesers Gesicht hinter einem Fenster auftauchen, und fast im gleichen Moment erschollen drinnen laute Stimmen. Zwei Männer und zwei kräftige Mägde kamen aus dem Haus gerannt und umringten sie. Zu ihrer Überraschung erkannte sie Ruben ben Makkabi und dessen Sohn Jiftach, die Frauen aber waren ihr ebenso fremd wie die beiden Knechte.
Ruben ben Makkabi grüßte sie nicht, sondern packte sie bei der Schulter und wollte sie aufs Haus zuschieben. »Herein mit dir, aber sofort!«
Lea schüttelte seine Hand ab und sah ihn empört an. »Was soll das?«
Statt einer Antwort packten die beiden Mägde sie und zerrten sie in den Vorraum. Unter der Tür zum Gästezimmer starrte Elieser ihr mit einem so angespannten Gesicht entgegen, als könnte sie sich jeden Moment in eine giftige Schlange verwandeln.
»Was hat das zu bedeuten, Elieser? Wo kommen all die Fremden her?«, fuhr Lea ihn an und versuchte, sich aus dem Griff der Mägde zu befreien, ohne ihnen wehzutun.
Elieser kniff die Lippen zusammen und sah Ruben ben Makkabi Hilfe suchend an. Der Augsburger Kaufmann baute sich vor Lea auf und maß sie mit einem vernichtenden Blick. »Elieser hat vor kurzem meine Hannah geheiratet und ist somit mein Schwiegersohn. Jetzt werde ich dafür sorgen, dass er auch Herr im eigenen Haus wird.«
Leas Blick irrte zwischen ihrem Bruder und Ben Makkabi hin und her, und es dauerte einen Augenblick, bis sie begriff, was der Mann da eben gesagt hatte. Ehe sie reagieren konnte, packten die beiden Mägde fester zu, schleiften sie mit Jiftachs Unterstützung die Treppe hinauf und stießen sie in das Zimmer ihres Vaters.
Hier erst ging Lea auf, wie ernst Ruben ben Makkabi seine Drohung meinte. Die Briefe, die sonst immer auf einem Bord auf sie gewartet hatten, lagen geöffnet in mehreren Stapeln auf dem Tisch, und die Truhe, die die Wertpapiere und die Geschäftsbücher enthielt, stand mit geöffnetem Deckel mitten im Raum. Kratzspuren an den eisernen Riegeln und den Schlössern der inneren Fächer zeigten ihr, dass jemand versucht hatte, die Sicherheitsvorrichtungen zu umgehen, um an den Inhalt zu kommen.
Elieser war ebenfalls mit nach oben gekommen und unter der Tür stehen geblieben. Mit einem heftigen Ruck löste Lea sich aus den Händen der Mägde und stemmte die Arme in die Hüften. »Darf ich endlich wissen, was hier gespielt wird?«
Auch jetzt antwortete Ruben ben Makkabi anstelle ihres Bruders. »Es ist an der Zeit, dich zu lehren, welcher Platz dir gebührt, Lea Jakobstochter. Die Zeit, in der du deine Geschwister ungestraft tyrannisieren konntest, ist vorbei!«
Lea zuckte zusammen wie unter einem Schlag.
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