Die Goldhaendlerin
bettete Jochanan die kostbaren Schriftrollen in ihre Tücher und verließ mit einem verzagten Lächeln den Raum. Kurz darauf kehrte er mit einem Boten des Markgrafen zurück, der eine in den Landesfarben grün und weiß gehaltene Livree mit den drei Löwen auf der Brust trug. Das Gesicht des Knechts wirkte so fassungslos, dass die anderen im ersten Schrecken annahmen, der Bote brächte ihnen den Befehl, Haus und Hof zu verlassen. Der Mann schenkte den Anwesenden kaum einen Blick, sondern holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Stulpe seines linken Handschuhs, schüttelte es mit einer wohl geübten Handbewegung glatt und begann zu lesen.
»Im Namen Seiner durchlauchtigsten Hoheit Ernst Ludwig, Markgraf von Hartenburg, wird dem Juden Samuel, des Jakob Goldstaubs Sohn, bei Androhung allerhöchster Ungnad befohlen, heute am Nachmittag vor seinem Herrn zu erscheinen.«
Lea sah, wie sich auf den Gesichtern der anderen Fassungslosigkeit breit machte. Rachel schüttelte stumm den Kopf, Saul aber schlug sich auf den Oberschenkel und öffnete schon den Mund, um, wie Lea annahm, mit der Wahrheit herauszuplatzen. Schnell sprang sie auf und bat den Boten, der seinem Gesichtsausdruck nach mehr auf ein Trinkgeld als auf eine Antwort wartete, mit ihr zu kommen. Es war ihr ein Rätsel, warum der Markgraf einen Toten zu sich rufen ließ, aber diese Frage durfte nicht vor einem Fremden besprochen werden. Sie eilte in das Arbeitszimmer ihres Vaters, öffnete die Schatulle, in der das Geld für den Haushalt aufbewahrt wurde, und holte ein noch recht neu glänzendes Einguldenstück heraus. Das war zwar viel zu viel Geld für einen Laufburschen Seiner Durchlaucht, aber sie wagte nicht, ihm weniger zu geben. Der Mann grinste erfreut, verneigte sich vor ihr, als hätte er statt einer verachteten Jüdin eine Dame von Stand vor sich, und verließ mit einem höflichen Gruß das Haus.
Kaum hatte Lea die Tür hinter ihm geschlossen, starrten mehrere Augenpaare über das Treppengeländer zu ihr hinunter.
»Wie kommt der Markgraf dazu, nach Samuel zu schicken? Hast du ihm denn nicht gesagt, dass unser Bruder tot ist?«, rief Rachel keifend hinab.
»Können wir das in Eliesers Kammer besprechen? Wenn du so schreist, wird jeder, der am Haus vorbeigeht, Zeuge unserer Probleme werden.«
Wie in ihren nächtlichen Albträumen sah Lea auch jetzt wieder den schrecklich zugerichteten Leichnam ihres Bruders vor sich und kämpfte gegen einen Tränenstrom. Sie vermisste ihn noch mehr, als sie es sich hätte vorstellen können, und sie wusste nicht, wie sie es schaffen sollte, die Lücke, die er in ihrem Leben zurückgelassen hatte, je wieder zu füllen. Sie mahnte sich, ihre Gedanken auf die Lebenden zu richten, stieg mit müden Bewegungen nach oben und versuchte, sich daran zu erinnern, was sie zu dem Markgrafen gesagt hatte. Es konnte nicht viel gewesen sein, denn man hatte sie ja kaum zu Wort kommen lassen, und Ernst Ludwig von Hartenburg war weniger an ihrem Bericht als am Vergnügen mit seiner Mätresse interessiert gewesen. So konnte sie nur annehmen, dass die Wachen am Straßburger Tor »Samuels« Rückkehr für wichtig genug gehalten hatten, um sie im Wachbuch zu vermerken.
Sarah schloss Lea in die Arme und strich ihr tröstend über die Haare. »Was sollen wir jetzt tun?«
»Das ist doch klar. Wir packen alles von Wert zusammen und verschwinden von hier«, schlug Saul vor.
Lea funkelte ihn zornig an. »Das geht nicht. Elieser würde eine Flucht nicht überleben.«
Saul war anzusehen, dass ihm das wenig Gewissensbisse bereiten würde, doch er hielt den Mund, um Lea nicht noch mehr aufzubringen.
Rachel maß Lea mit vorwurfsvollen Blicken. »Du hättest dem Markgrafen sagen müssen, dass jetzt Elieser unser Familienoberhaupt ist.«
Lea lachte bitter auf. »Glaubst du, das würde nur ein Haar an unserer Situation ändern? Elieser kann noch auf Wochen das Bett nicht verlassen und vor dem Markgrafen erscheinen.«
Sarah schob ein paar Strähnen unter ihr Kopftuch. »Jochanan könnte zum Markgrafen gehen und ihm alles erklären.«
Lea spreizte abwehrend die Hände. »Wenn wir ihn schicken, wird Seine Durchlaucht denken, wir wären am Ende, und rasch zugreifen, um möglichst viel von Vaters Reichtum an sich zu raffen. Nein, wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen.«
Rachel schnaubte. »Jetzt wird wohl wieder eine von deinen Ideen kommen, für die sich jede jüdische Frau schämen muss!«
Lea hob in einer hilflosen Geste die
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