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Die Goldhaendlerin

Die Goldhaendlerin

Titel: Die Goldhaendlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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einen Hocker heran und nahm Eliesers Hand, um ihn zu trösten. Doch in dem Moment, in dem sie sich setzte, fiel ihr ein, dass sie einige Dinge zu tun hatte, die für Eliesers Überleben mindestens ebenso wichtig waren wie die Kunst des Arztes oder ihre Zuwendung. Sie musste einen Weg finden, die maßlosen Forderungen des Markgrafen zu erfüllen, denn es blieb ihr nicht genug Zeit, die Flucht aus Hartenburg so vorzubereiten, dass sie und ihre Angehörigen nicht als Bettler ins Ungewisse ziehen mussten. Hastig verabschiedete sie sich von Elieser und dem Arzt und ging hinüber in das Zimmer, in dem ihr Vater gearbeitet und geschlafen hatte.
    Zu Lebzeiten ihres Vaters war der Raum eine Art Refugium gewesen, das sie nur dann hatte betreten dürfen, wenn sie darin sauber machen musste. Als sie nun darin stand, kam es ihr so vor, als warte das Zimmer sehnsüchtig auf seinen Besitzer. Die Decke auf dem schmalen Bett war aufgeschlagen, als müsste Jakob ben Jehuda im nächsten Augenblick zur Tür hereinkommen, um sich niederzulegen. Dahinter blähte sich der Vorhang vor dem Fenster und präsentierte einen siebenarmigen Leuchter, den Lea selbst daraufgestickt hatte. Sie schluchzte auf, trocknete sich die Tränen aber sofort an einem Tuch aus ihrer Schürzentasche und trat zu einem schmucklosen Kasten aus Eichenholz, der zusätzlich mit schweren Eisenbändern verstärkt worden war. In ihm pflegte ihr Vater seine Geschäftspapiere und größere Geldsummen aufzubewahren.
    Jetzt erinnerte Lea sich wieder an jenen Tag, an dem Samuel den Vater zum ersten Mal auf einer Reise hatte begleiten dürfen. Damals hatte er ihr gezeigt, wie der Kasten zu öffnen war. Sie hatte noch seine vor Aufregung schrill klingende Stimme im Ohr, die sich in jenem Moment wohl noch heller angehört hatte als ihre eigene. Sollte uns etwas zustoßen, hatte er ihr gesagt, musst du wissen, wie du an das Geld und die Geschäftsunterlagen kommst. Du findest Aufzeichnungen darin, die dir sagen, an wen du dich wenden musst. Jetzt schien es Lea, als hätte ihr Bruder damals schon geahnt, welches Verhängnis ihn ereilen würde.
    Sie atmete tief durch und blieb noch einen Augenblick regungslos stehen, um sich zu sammeln und den nächsten Tränenstrom aufzuhalten. Wenn das so weitergeht, schalt sie sich, wirst du dich in Selbstmitleid auflösen und unfähig sein zu handeln. Du willst doch Samuel nicht enttäuschen, oder? Der Gedanke an ihren Bruder, der sie nicht wie ein dummes Mädchen, sondern wie einen guten Freund behandelt hatte, gab ihr Kraft. Sie drehte sich zu dem rechten hinteren Bettpfosten um und schraubte den oberen Teil ab. Darunter kam ein kleiner Hohlraum zum Vorschein, in dem sich ein mit Wachs festgeklebter Schlüssel befand. Lea nahm ihn heraus und schloss den Kasten auf.
    Als sie den Deckel aufschlug, sah sie drei weitere Schlüssellöcher und drei fast gleich aussehende Schlüssel vor sich. Die Schlösser mussten genau in der richtigen Reihenfolge geöffnet werden, sonst würde sich ein im inneren Deckel verborgener Riegel schließen, so dass es eines Schmiedehammers und der Glut einer Esse bedurfte, ihn wieder zu öffnen. Lea las die abgegriffenen hebräischen Schriftzeichen auf den Schlüsseln und versuchte, sich an Samuels Anweisungen zu erinnern. Doch ihr Kopf war mit einem Mal so leer wie eine Tenne im Frühjahr. Unwillkürlich stieß sie das Gebet aus, mit dem ihr Vater vor Antritt einer neuen Reise Gottes Segen erfleht hatte – und wurde erleuchtet. Die Buchstaben auf den Schlüsseln waren die gleichen wie der Beginn der ersten, der dritten und der sechsten Zeile. Schnell schob sie den ersten Schlüssel ins Loch und drehte ihn um. Statt des von ihr immer noch befürchteten Geräusches eines sich schließenden Riegels ertönte ein leises Klacken. Kurz darauf konnte Lea den inneren Deckel heben und blickte auf mehrere sorgfältig verschnürte Bündel Briefe und einige gesiegelte Pergamente.
    Als sie die Unterlagen herausgehoben hatte, fand sie darunter eine Schatulle, die mit frisch geprägten Goldmünzen gefüllt war, mehrere Beutel mit Münzen verschiedener Herrschaften und ganz unten noch ein schweres Kästchen. Darin lagen zwei Stangen aus Gold und die Prägeköpfe für die Hartenburger Münze, die ihr Vater zusammen mit dem Privileg erhalten hatte, für den Markgrafen Geld prägen zu dürfen.
    Sie zählte das gefundene Geld und kam auf etwas über eintausend Gulden. Das war eine unerwartet große Summe, aber immer noch zu wenig, um die

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