Die Goldhaendlerin
männlichen Geschlechts.«
So leicht gab die Wirtschafterin sich nicht geschlagen. »Niemand weiß, ob Eliesers Bar-Mizwa in Sarningen abgehalten worden ist. Also gilt er noch nicht als Mann.«
»Dann spreche ich die Gebete. Harte Zeiten erfordern nun einmal ein Abweichen von der Sitte, so hat es das Volk Israel schon immer gehalten. Wären Judith und Deborah nicht bereit gewesen, Männerwerk zu tun, gäbe es unser Volk längst nicht mehr.«
Leas Tonfall verriet ebenso wie ihre Miene, dass sie sich nicht umstimmen lassen würde.
Sarah wusste nicht, was sie davon halten sollte. Bisher hatte Lea alle anfallenden Probleme mit ihr besprochen und keine Entscheidung ohne ihre Zustimmung getroffen, ganz gleich, ob sie alltägliche Verrichtungen oder den Kult betraf. Seit ihrer Rückkehr aber schien der Rat einer älteren und erfahreneren Frau bei ihr ebenso wenig zu zählen wie die Traditionen ihres Volkes.
»Du begibst dich auf einen gefährlichen Pfad, mein Kind.«
»Ich werde dafür sorgen, dass wir nicht nur überleben, sondern auch unser Auskommen behalten. Oder willst du zusehen, wie der Markgraf uns ausraubt und uns aus unserem Heim vertreibt? Wenn wir mit leeren Händen an ein fremdes Stadttor klopfen, können wir froh sein, wenn wir nur mit Hohn und Spott vertrieben und nicht gleich umgebracht werden.«
Leas heftige Reaktion erschreckte die Wirtschafterin. Die Ereignisse in Sarningen, der Anblick der Toten und die Gefahr, in der sie geschwebt hatte, mussten das Mädchen in einer Art und Weise verändert haben, die sie nicht verstand. Es war, als wäre der Geist ihres eigensinnigen, aufbrausenden Bruders Samuel in Lea gefahren, und die alte Frau befürchtete, dass dies dem Mädchen nicht zum Guten gedeihen würde.
»Möge der Gott unserer Väter Seine Hand über uns halten«, sagte sie ergeben und ging, um ihrem Sohn und Saul noch ein paar Ermahnungen mit auf den Weg zu geben.
3.
Nach der Abreise der beiden Knechte lief das Leben im Hause Goldstaub in beinahe normalen Bahnen weiter. Lea versuchte Sarah dadurch zu versöhnen, dass sie die siebentägige Trauerzeit mit allen Vorschriften einhielt, und versprach ihr zudem, zur Jahrzeit der Toten einen Rabbi holen zu lassen, der das Kaddisch für sie betete. Doch all das schien Sarah nicht zu trösten, denn die sichtlich gealterte Frau blieb stumm und abweisend. Sie schalt aber Merab, als diese Lea das Recht absprechen wollte, die Geschäfte ihres Vaters weiterzuführen. Offensichtlich gestand die Wirtschafterin das Recht, die Herrin zu kritisieren, nur sich selbst zu und duldete bei niemand anderem Zweifel an Leas Autorität.
Nach der Trauerwoche widmete Lea sich wieder den Papieren ihres Vaters. Sie war froh um die genauen Anweisungen und Erklärungen, die er für Samuel hinterlassen hatte und ohne die sie das Geflecht seiner Geschäfte niemals hätte entwirren können. Jetzt lernte sie die Geheimnisse jüdischer Handelsbeziehungen kennen, die sie aus den Gesprächen ihres Vaters mit Samuel nur bruchstückhaft kannte, ohne sie begriffen zu haben. Wohlhabende Juden teilten ihr Vermögen in möglichst viele Beteiligungen auf, um nicht bei einem einzigen Pogrom alles zu verlieren oder durch einen Schiffsuntergang oder den Überfall auf einen Handelszug zu verarmen.
Onkel Esra, Ruben ben Makkabi und Zofar ben Naftali waren zwar die wichtigsten, aber lange nicht die einzigen Geschäftspartner ihres Vaters gewesen. Lea stieß in den Listen auf Namen von Männern aus dem gesamten Reich Deutscher Nation und beinahe allen angrenzenden Ländern. Sogar nach Rom, der Hauptstadt der Christenheit, hatte er eine lukrative Handelsbeziehung unterhalten. Der Mann, der dort lebte, war dem Namen nach ebenfalls ein Jude, was man von einem Händler aus Sevilla nicht sagen konnte, denn der nannte sich Rodrigo Varjentes de Baramosta, was nach einem Christen klang. Lea wunderte sich zunächst darüber, aber dann fiel ihr ein, dass der Mann ein Konvertit sein konnte, ein spanischer Converso, der unter dem Druck der Inquisition dem Glauben seiner Väter abgeschworen hatte.
Lea blieb nicht viel Zeit, sich in die Unterlagen einzuarbeiten, denn wenn der Markgraf die Privilegien und Schutzrechte ihres Vaters auf sie, das hieß, auf Samuel Goldstaub übertrug, musste sie die Geschäfte im vollem Umfang weiterführen, um den steten Geldhunger des Landesherrn zu befriedigen. Lea schwindelte, als sie das Verzeichnis der Summen studierte, die Ernst Ludwig von Hartenburg im Lauf der Jahre aus
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