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Die Goldhaendlerin

Die Goldhaendlerin

Titel: Die Goldhaendlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Stapelhäusern großer Handelsherren trugen, und seine Mütze musste von einem wohlhabenden Bauern stammen. Es war jedoch weniger die Kleidung, die Orlando auf ihn aufmerksam machte, als vielmehr das Gesicht. Obwohl dem Mann die Schläfenlocken eines aschkenasischen Juden fehlten, die er am Vortag noch getragen hatte, erkannte Orlando in ihm doch den Boten Samuel ben Jakobs.
    Er nahm dem Wirt den Becher Wein aus der Hand, schlenderte in die Ecke, in der Saul saß, und nahm an dessen Tisch Platz. Der Blick des Knechts zeigte ihm deutlich, dass er allein gelassen werden wollte.
    »Auf dein Wohl, Freund.« Orlando hob Saul seinen Becher entgegen.
    »Auch auf dein Wohl«, antwortete Saul unfreundlich. Er bemühte sich, ein vom jiddischen Akzent freies Deutsch zu sprechen, doch seine Stimme war ebenso unverkennbar wie seine scharf gebogene Nase.
    Orlando lächelte in sich hinein. Ich hätte mit Zofar ben Naftali wetten sollen, dachte er selbstzufrieden. Seine Vermutung, dass Samuel ben Jakob seinen Knecht nicht Wiedersehen würde, hatte sich schneller bestätigt, als er es sich hatte vorstellen können.
    Orlando trank dem Mann zu. »Haben wir beide uns nicht schon einmal gesehen?«
    Saul stellte den Becher mit einem harten Ruck hin. »Kaum, denn ich bin fremd hier.«
    »Welch ein Zufall, ich auch.« Orlando setzte die entspannte Miene eines Katers auf, der noch ein wenig mit der gefangenen Maus spielen will, bevor er sie frisst.
    Saul drehte seinen Kopf aus dem Licht. »Dann können wir uns auch nicht kennen.«
    »Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich habe deine Visage nämlich erst vor kurzem bei einem jüdischen Bankier gesehen, den ich aus gewissen Gründen aufsuchen musste.« Obwohl Orlandos Stimme immer noch freundlich klang, zuckte Saul zusammen. Nun war auch er sich sicher, dass er es mit Zofar ben Naftalis Gast zu tun hatte. »Ich kenne keinen Zofar oder wie er heißt, und im Übrigen habe ich nichts mit Juden zu schaffen.«
    Orlando lachte fröhlich auf. »Ich bin kein Dummkopf, mein Freund, auch wenn du das zu glauben scheinst. Ich weiß genau, dass du fünfhundert Gulden in deiner Tasche trägst, abzüglich der paar Groschen, die du für deine neue Kleidung ausgegeben hast. Wenn ich dem Wirt jetzt sage, du wärest ein jüdischer Dieb, der mich um meine Barschaft gebracht hat, wäre es um dich geschehen. Auch wenn du dir die Schläfenlocken abgeschnitten hast, wird dich das fehlende Stückchen Haut zwischen deinen Beinen verraten. Auf wessen Wort, glaubst du, wird man hier mehr geben, auf das deine oder auf das meine?«
    Saul erstickte fast an seiner Wut. Er hatte sich bei einem jüdischen Altkleiderhändler unter dem Vorwand seiner gefährlichen Heimreise eine unverfängliche Tracht besorgt und sich später die Locken, die er bei dem Trödler noch unter die Mütze gesteckt hatte, mit einem scharfen Messer abgeschnitten. Dann hatte er sich ein Zimmer in dieser Absteige hier genommen, um erst einmal zu überlegen, was er mit seinem unverhofften Reichtum anfangen konnte. Jetzt ärgerte er sich darüber, dass er die Stadt nicht sofort verlassen hatte.
    Er ballte drohend die Fäuste. »Du willst mich wohl erpressen, du Schwein?«
    Orlando grinste breit. »Ich würde mir an deiner Stelle eine höflichere Sprache angewöhnen. Und bilde dir nicht ein, du könntest mich niederschlagen. Was die Fertigkeit mit den Fäusten anbetrifft, bin ich dir gewiss über.«
    Saul musste zugeben, dass sein Gegenüber Recht haben könnte, denn der Mann war einen halben Kopf größer als er und schlank, aber durchaus muskulös, wie seine eng anliegenden Beinkleider verrieten. Einen solchen Gegner durfte er nicht unterschätzen. Trotzdem war er bereit, dem Kerl das Genick zu brechen.
    Sauls Gedanken spiegelten sich auf seinem Gesicht, und Orlando nahm es amüsiert zur Kenntnis. Er erinnerte sich nur allzu gut an die Ungereimtheiten in der Erzählung des Knechts, die Zofar ben Naftali nicht aufgefallen waren, und war davon überzeugt, dass mehr hinter der Sache stecken musste. Saul schien Orlando nicht der Mann zu sein, der mit dem ihm anvertrauten Geld durchbrennen würde, solange er seinen Herrn zu fürchten hatte. Vielleicht gab es keinen Samuel mehr, sondern nur noch den jungen Elieser, der schwer verletzt im Bett liegen musste, möglicherweise waren auch beide tot, so dass niemand da war, der sich um die Belange der Familie kümmern konnte. In diesem Fall hätte Saul den Brief an Zofar ben Naftali gefälscht, um an das Geld zu

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