Die Goldhaendlerin
zusammen und sprang auf.
»Jetzt kann ich doch wohl gehen.«
»Ich wollte, du wärst schon verschwunden.« Orlando machte eine Handbewegung, so als wollte er eine Fliege verscheuchen, und Saul rannte wie vom Teufel gehetzt aus der Schenke. Er war kaum zur Tür hinaus, da kam der Wirt mit wutverzerrtem Gesicht auf Orlando zu. »Jetzt hat der Kerl doch glatt die Zeche geprellt.«
Der Handelsagent hob die Hand, um die beginnende Schimpfkanonade zu stoppen. »Bevor er ging, bat er mich, es für ihn auszulegen.«
Er überlegte, ob er sich noch einen Becher Wein bringen lassen sollte, entschied sich aber dagegen und kramte ein paar Münzen hervor. »Hier, das dürfte wohl reichen.«
Er drückte dem ob so viel Großzügigkeit verblüfften Wirt das Geld in die Hand und verließ nachdenklich die Schenke. Auf dem Weg zu Zofar ben Naftalis Haus überlegte er, was er mit Sauls Bericht anfangen sollte. Eigentlich wäre es seine Pflicht, seinen Gastgeber darüber aufzuklären, wer dieser Samuel ben Jakob in Wirklichkeit war, denn es war ja möglich, dass der Bankier noch etwas zur Rettung der Familie Goldstaub tun konnte. Aber Orlando kam mehr und mehr zu dem Schluss, dass das verrückte Mädchen den Karren schon zu tief in den Dreck gefahren hatte. Wenn er die Sache nicht auf sich beruhen ließ, brachte er nur die Leute in Gefahr, die Zofar ben Naftali nach Hartenburg schicken würde.
Ich kann nicht jedes Juden Hüter sein, sagte er leise zu sich selbst, am wenigsten der eines solch verdrehten Geschöpfes wie dieser Lea. Zufrieden mit seiner Entscheidung ging er weiter, merkte aber schon nach wenigen Schritten, dass sich seine Gedanken immer noch mit Jakob Goldstaubs Tochter beschäftigten. Das Mädchen schien recht einfallsreich zu sein und mochte vielleicht sogar einen Weg finden, unerkannt die Schikanen und Demütigungen zu überstehen, die mit der Ablegung des Judeneids verbunden waren. Er war auf alle Fälle gespannt, ob er in Zukunft noch etwas von »Samuel ben Jakob« hören würde.
Dritter Teil
Schlechte Geschäfte
1.
Lea saß scheinbar unbeteiligt an einem Tisch in der hintersten Ecke und drehte den anderen Gästen den Rücken zu, damit keiner sehen konnte, dass sie den von vielen Zähnen gezeichneten Holzbecher starr vor Angst umklammerte. Ihre Kehle war wie ausgedörrt, doch sie bekam keinen Tropfen des mit Wein gefärbten Wassers über die Lippen, aber nicht, weil es mehr nach Pferd als nach Trauben schmeckte, sondern weil das Grauen vor dem, was sie erwartete, sie wie eine schwarze Wolke durchdrang.
In den letzten drei Jahren hatten die Geschäfte sie gezwungen, monatelang als Samuel ben Jakob umherzureisen, und dabei war sie in mehr als eine brenzlige Situation geraten. Oft hatte sie den Gefahren mit dem Instinkt eines gejagten Tieres im letzten Moment ausweichen können, und wenn ihr das nicht gelungen war, hatte sie den schlimmsten Übergriffen die Spitze nehmen können, so dass sie mit viel Spott, ein paar Knuffen und der Bekanntschaft mit Mist und Jauche davongekommen war. Diesmal aber sah sie sich einem unversöhnlichen Feind gegenüber, vor dem es kein Entrinnen gab.
»Wer einen Juden totschlägt, vollbringt ein gottgefälliges Werk!«
Die Stimme des Mönches klang wie das misstönende Krächzen eines Raben. Die anderen Gäste stimmten ihm jedoch so inbrünstig zu, als spräche er von den Freuden des christlichen Paradieses.
Lea versuchte, ihre Angst zu verdrängen, um wieder klar denken zu können. Hatte sie ihren Kopf nicht schon öfter aus einer sich drohend zusammenziehenden Schlinge ziehen können? Es war ihr gelungen, den Markgrafen von Hartenburg zu täuschen und sein neuer Hoffaktor zu werden, und als sie wenig später ebenfalls als Samuel verkleidet nach Worms zu Zofar ben Naftali gewandert war, hatte sie Tag und Nacht auf der Hut sein müssen, um nicht entlarvt zu werden. Kurz darauf war es ihr gelungen, Ruben ben Makkabi zu täuschen, obwohl dieser Samuel drei Jahre zuvor kennen gelernt hatte. Ihr Entschluss, auch außerhalb von Hartenburg als Samuel aufzutreten, hatte sich auf den beiden ersten Reisen schon als kluger Schachzug erwiesen, denn ihr war es nicht nur gelungen, die bereits bestehenden Geschäftsverbindungen zu erhalten, sondern auch, die Verbindungen der beiden Männer auszunützen und die ihr zustehenden Summen in lukrativen Geschäften anzulegen. Inzwischen hatte sie das Vermögen ihrer Familie gemehrt, so dass sie nun vor dem Problem stand, den neu erworbenen Reichtum
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