Die Goldhaendlerin
einem Stock glich als dem Körperteil eines Menschen. Doch unterwegs hatte sie Leute gesehen, die weitaus schlimmer verkrüppelt waren als Elieser und dennoch alles taten, um sich einen Platz im Leben zu erkämpfen. Irgendwie musste sie ihrem Bruder beibringen, dass er kein Kind mehr war, sondern ein junger Mann, der Pflichten zu erfüllen hatte.
»Du bist nicht der einzige Jude, der körperlich gezeichnet ist. Einige unserer Handelspartner leiden unter ähnlichen körperlichen Gebrechen und sind doch recht erfolgreich. Du wirst sehen, du schaffst das auch. Komm nachher in mein Zimmer und hilf mir. Ich möchte, dass du ein paar der Briefe schreibst, denn unsere Geschäftsfreunde sollen merken, dass es dich gibt.«
Lea ärgerte sich über den bettelnden Klang in ihrer Stimme und gleich darauf über Eliesers Reaktion.
»Soll ich etwa mein Studium wegen ein paar lächerlicher Briefe unterbrechen, die du ohnehin schneller schreibst als ich?« Er musterte Lea von unten nach oben, drehte ihr den Rücken zu und schlug den mitgebrachten Talmud auf. Da sie sich nicht mit ihm streiten wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als den Raum zu verlassen.
Auf dem Weg in ihr Zimmer machte sie sich Vorwürfe, bei der Erziehung ihres Bruders völlig versagt zu haben. Sie hatte ihn wegen seiner Verletzungen und der Schmerzen, über die er ständig klagte, lange Zeit von allen Pflichten befreit und zugelassen, dass sich der gesamte Haushalt seinen Wünschen unterordnete, und nun schien er zu glauben, dass er das Leben eines verwöhnten Kindes bis an das Ende seiner Tage weiterführen konnte. Lea überlegte, was sie unternehmen konnte, um ihn zur Vernunft zu bringen, fühlte sich dieser Aufgabe aber nicht gewachsen, denn Elieser hatte sich noch nie etwas von ihr sagen lassen. Wenn es zum Streit zwischen ihr und ihm gekommen war, hatte sein Vater ihm Recht gegeben, ganz gleich, um was es ging, und da Elieser nach Sitte und Gesetz ihr Vormund war – falls es zu jener Bar-Mizwa in Sarningen gekommen war, wie er behauptete –, konnte er guten Gewissens jeden Rat von ihr in den Wind schlagen.
An diesem Tag war Lea froh, die Tür ihres Zimmers hinter sich schließen zu können. Doch sie hatte sich zu früh auf einige Augenblicke der Ruhe gefreut. Noch bevor sie Kaftan und Hemd ablegen und sich wieder in sich selbst verwandeln konnte, schlüpfte Sarah zur Tür herein.
Sie stellte eine Schüssel mit Waschwasser auf den kleinen Tisch neben dem Bett und half Lea mit flinken Fingern, sich der schmutzigen Kleidung zu entledigen. Dabei machte sie ihr die ersten Vorhaltungen. »Du solltest keine so langen und gefährlichen Reisen mehr unternehmen. Jochanan hat mir eben erzählt, wie knapp ihr dem Feuertod entronnen seid.«
»Wenn die Geschäfte weiterlaufen sollen, muss ich auf Reisen gehen. Aber im Augenblick brauchst du dir keine Sorgen zu machen, denn in den nächsten Monaten kann ich alles noch Anstehende brieflich erledigen.«
Die alte Frau wiegte zweifelnd den Kopf. »Besser wäre es, du bliebest ganz zu Hause. Rachel fehlt eine feste Hand und auch jemand, der ihr die Mutter ersetzen kann. Erinnere dich daran, wie einsam du dich nach Ruths Tod gefühlt hast.«
»Ich hoffe, ich habe mich in Rachels Alter nicht so töricht benommen wie sie.«
Sarah lächelte, winkte aber gleichzeitig ab. »Wie sich das anhört! Du bist nur zwei Jahre älter als sie, aber wenn man euch beide so ansieht, könnten es ebenso viele Jahrzehnte sein. Um Rachel mache ich mir jedoch weniger Sorgen als um Elieser.«
Ein scharfer Unterton in Sarahs Stimme ließ Lea aufhorchen.
»Was kann unser frommer Talmudschüler denn schon angestellt haben? Geht er zu spät ins Bett, weil er sich nicht von seinen Texten trennen kann?«
»Frommer Talmudschüler?« Sarah winkte verächtlich ab. »Erst letzte Woche hat er Merab in den Hintern gekniffen, als sie sein Zimmer säuberte, und das dumme Ding hat auch noch gekichert, anstatt ihm eine Ohrfeige zu geben.«
Lea zuckte mit den Schultern und beugte sich tief über die Waschschüssel. Als sie sich abtrocknete, lächelte sie amüsiert.
»Sei doch froh, dass Elieser endlich Interesse an anderen Dingen zeigt als nur an seinen frommen Schriften. Schließlich ist er in dem Alter, in dem junge Männer den Frauen nachschauen.«
Sarah hob mahnend den Zeigefinger. »Nimm die Sache nicht zu leicht, oder willst du, dass es zu Heimlichkeiten kommt, die man nicht dulden darf?«
»Ich werde schon aufpassen«, versprach Lea
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