Die Goldhaendlerin
kleinen solche Grobheiten verzeihen musste. »Das nehme ich auf mich, um dir und Elieser ein gutes Leben zu ermöglichen.«
Rachel kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und schüttelte heftig den Kopf. »Erzähl mir doch nichts! Du tust es nicht unseretwegen, sondern weil du Gefallen daran findest, als Mann herumzulaufen. Hast du denn gar kein Schamgefühl? Wenn dein Betrug entdeckt wird, blamierst du auch uns bis auf die Knochen! Kein Jude wird noch etwas mit uns zu tun haben wollen, denn deine Verworfenheit beschmutzt uns alle.«
Lea ließ die Schultern sinken. Ihre Schwester hatte sich in den letzten drei Jahren nicht geändert. Für Rachel war ihr Auftreten als Samuel Goldstaub eine Sünde wider den Herrn und daher verdammenswert. Das hinderte sie jedoch nicht daran, die Vorteile zu nutzen, die ihr das auf diese Weise verdiente Geld verschaffen konnte. Auch jetzt verwandelte sie sich im Bruchteil eines Augenblicks von einer zürnenden, tiefgläubigen Jungfrau in ein bettelndes Kind.
»Was hast du mir denn diesmal mitgebracht?«
Lea zog eine kleine Schatulle unter ihrem Mantel hervor und reichte sie ihr. Rachel riss sie auf und stieß einen Schrei aus. Drinnen lag eine mit Rubinen und Amethysten besetzte Brosche in Form eines Schmetterlings. Lea hatte das Schmuckstück bei einem Goldschmied gesehen und auf der Stelle erworben. Rachel ließ die Steine im Sonnenlicht aufblitzen und rief nach Gomer, die ihr helfen sollte, das richtige Gewand dazu auszusuchen.
Da Lea schon einmal begonnen hatte, ihre Geschenke zu verteilen, holte sie die Talmudniederschrift hervor, die ihr Bruder sich gewünscht hatte, und trat in Eliesers Zimmer. Der Junge zählte nun sechzehn Jahre, wirkte jedoch kaum älter als dreizehn. In einen dunklen Kaftan gekleidet und mit einer schlichten Kippah auf dem Kopf hockte er auf einem Kissen und rezitierte aus den Schriften des berühmten Rabbis Mose ben Maimon. Obwohl er Leas Eintreten durchaus wahrnahm, beachtete er sie zunächst nicht, sondern las den Text zu Ende. Als er fertig war, küsste er inbrünstig die Schriftrolle und legte sie in einen silbernen Halter. Dann erst blickte er auf und musterte Lea, als wäre sie eine besonders hässliche Küchenschabe, die ihm gerade über die Füße kroch. »Was gibt es denn so Wichtiges, dass du alle Scham vergisst und in diesem Aufzug in mein Zimmer trittst?«
»Ich wollte dir das Buch, das du dir so sehnsüchtig gewünscht hast, gleich bei meiner Ankunft überreichen«, rechtfertigte Lea sich matt, da sie all ihre Kraft benötigte, ihren Ärger zu bezähmen.
Elieser nahm das Geschenk mit einer Selbstverständlichkeit entgegen, als wäre es ihre Pflicht, seine Wünsche zu erfüllen, schlug es auf und begann zu lesen.
Lea holte tief Luft. »Ich überbringe dir Grüße von Ruben ben Makkabi und den anderen Mitgliedern der Augsburger Gemeinde.«
Da er nicht auf ihre Worte reagierte, tippte sie ihn an. »He, ich rede mit dir!«
»Ja, ja, ich habe schon gehört. Ich hoffe, es geht unseren Brüdern in Augsburg gut.« Elieser zeigte deutlich, wie wenig er sich für Ruben ben Makkabis Wohlergehen und das der übrigen Augsburger Juden interessierte.
»Es geht ihnen gut.« Lea fragte sich, wie es weitergehen sollte, wenn ihr Bruder sich nur um geistliche Dinge kümmerte und nicht das geringste Interesse für die Geschäfte zeigte. Nach den Gesetzen ihres Volkes war er das Oberhaupt der Familie und hätte längst in die Fußstapfen seines Vaters treten müssen. Sie atmete zwei-, dreimal tief durch und trat so dicht neben ihn, dass ihr staubiger Kaftan ihn beinahe berührte. »Hast du dir in der Zwischenzeit die Geschäftskorrespondenz angesehen, wie du es mir versprochen hast?«
»Ich bin nicht dazu gekommen.« Elieser rutschte ein Stück von ihr weg und verzog angewidert den Mund, zauberte dann aber jenes Lächeln auf seine Lippen, das die anderen Frauen des Haushalts dazu brachte, ihm jede seiner Launen zu verzeihen.
Auch Lea ließ sich davon rühren. »Ich hatte dich doch so eindringlich darum gebeten. Wie soll ich dir die Geschäfte übergeben und brav zu Hause bleiben, wie du es dir wünschst, wenn du dir keine Mühe gibst, dich einzuarbeiten?«
»Wie soll ich denn die Geschäfte führen? Ich bin doch nur ein Krüppel, der das Bett kaum verlassen kann.« Elieser streckte sein rechtes Bein aus und zog den Saum seines Kaftans höher.
»Sieh her!«, rief er mit klagender Stimme. Lea betrachtete seinen dürren Unterschenkel, der mehr
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