Die Goldmacherin Historischer Roman
Tag bekamen. Die feinen Mainzer würden sich noch wundern,
wer ihnen nun die verkohlten Balken aus der Stadt schleppen und die toten Pferde wegschaffen würde. Es geschah ihnen Recht, wenn sie nun den ganzen Dreck selber von den Gassen schippen mussten.
Leib an Leib schoben sie sich vorwärts. Aurelia hatte hinter einer Mauer eines zerstörten Hauses ihre rotgoldenen Haare zum dichten Zopf geflochten und das Wolltuch übergeworfen. Sie wollte nicht unnötig in der Menge auffallen.
»Wir sind umstellt«, flüsterte angstvoll eine Frau hinter ihr. »Die Landsknechte tragen alle lange Spieße.«
»Damit wir nicht am Stadtgraben kehrtmachen und uns in den Brandhäusern verstecken«, sagte ein zahnloser junger Mann neben ihr und spie aus. Aurelia stand mitten in der Menge und fühlte sich doch meilenweit entfernt von alledem. Erinnere dich an früher. Ihr Geist vermochte kaum die warnende Stimme ihrer Vernunft zu vernehmen, so sehr roch Aurelia im alten Schweiß der Armen die frische Angst. Um ein Haar hätte sie sich übergeben. Immerzu verwoben sich die Erinnerungen an die Schrecknisse, die sie erlebt hatte, mit dem, was sie auf dem Holzmarkt erblickte.
Ganz vorne, wo sonst das Ebenholz für die Schnitzer auf feinem Samt geschichtet auslag, waren die Verkaufsstände verschwunden. Stattdessen verneigten sich die Ratsherrn vor einigen Rittern in Rüstung. Von links kamen Männer in roten, gelben und blauen Hemden wie Hunde mit hängenden Zungen angelaufen. Die Handwerker der Stadt vergaßen alle Ehre.
Romualds Zunftmeister muss dir helfen , durchfuhr es Aurelia, und der Gedanke erfüllte sie mit einer unerwarteten Kraft. Sie schob sich zwischen eine Bettlerin und einen kahlgeschorenen Jungen. Und weiter vor drängte sie sich und achtete nicht auf das Murren, das Wehklagen, die zornigen Stimmen. Niemand drängte nach.
Drei Reihen noch, zwei.
Sie trat aus der Menge heraus vor die Mittel- und Mündellosen, sah das grüne Wams des Zunftmeisters ein paar Schritte links von ihr leuchten. Seine lange Feder wippte unaufhörlich zwischen den Köpfen seinesgleichen.
Das Getuschel der Stadtoberen erstarb, als Aurelia vor dem Zunftmeister das Wolltuch zurückschlug.
»Was willst du,Weib?«, herrschte er sie an, ohne sich richtig zu ihr umzudrehen.
Im kalten Wind flatterte ihr Tuch. »Eure Hilfe«, rief sie mit lauter Stimme, damit es auch die Ritter und Ratsleute hörten. »Man will mich aus der Stadt verjagen.«
»Und was schert mich das?«
Aurelia fand Kraft in der Wut, die in ihr aufstieg. »Ihr habt Eurem Gesellen Romuald und mir den Segen gegeben!«
Die Männer der anderen Zünfte steckten die Köpfe zueinander. Sie beobachteten die Nassauischen Besatzer vor dem verkohlten First der Jakobskapelle, ob diese auf Aurelias Begehr aufmerksam wurden. Hasserfüllte Blicke trafen Aurelia und den Zunftmeister.
Jener wandte sich nun ganz Aurelia zu. »Dein Vater ist tot, Romuald und andere sind von den Häschern der neuen Herrn gefangen genommen worden.« Er trat auf sie zu und packte sie an der Gurgel. Fest drückte er mit seinem Zunfthandschuh zu. »Was glaubst du«, zischte er, »was uns die Auslöse für unsere Gesellen kosten wird, falls sie überhaupt noch leben und der Herzog sie verschachern will? Er braucht viele junge Männer für seinen Krieg.«
»Ihr habt meines Vaters Geschenk …«, röchelte Aurelia und bekam kaum mehr Luft. Seine Faust an ihrer Kehle drückte nur noch fester zu.
»Kein Wort wirst du verraten von der Kunst deines toten Vaters, die mir nichts mehr nützt«, herrschte er sie an.
Der Würgegriff tat so weh, dass Aurelia fast die Sinne schwanden.
»Oder kannst du etwa das Gold machen, das wir jetzt brauchen?«, zischte er. »Nach dem Brauch muss die Zunft den Unterhalt für Romualds Mutter und Schwester zahlen. Das wird uns schon genug kosten. Für dich bleibt nichts mehr übrig.« Seine Faust ließ nicht locker. »Schweige und verschwinde, wenn dir dein Leben lieb ist.« Mit diesen Worten stieß der Zunftmeister sie von sich.
Aurelia fiel auf das Pflaster des Holzmarkts, die Zunftleute schauten weg, während die Landsknechte und Grafen lachten. Die große Menge der Armen hinter ihr schwieg.
Aurelia rappelte sich hoch, schlug das Wolltuch über ihr Haar und schlüpfte zwischen einem alten Weib, das sich auf einen Knüppel stützte, und einem Lahmen auf einem Rollbrett zurück in den Schutz der Menge.
Der Zunftmeister verriet sie, er verriet Romuald und alles, was ihm heilig war. Es war
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