Die Goldmacherin Historischer Roman
Aurelia, als ob es sie gar nicht mehr gäbe, als wäre sie eine Puppe aus Stroh. Sie schlang die Arme um sich und fühlte nichts als einen fremden Leib, kalt und tot im Oktoberwind.
Einer der hohen Herren vorn auf dem Platz hielt einen roten Handschuh empor. Die Landsknechte reihten sich an der linken Seite des Holzmarkts auf, die Stadtherren traten rechts hinter den Befehlshaber, dann folgten ihnen die Zunftmeister. Man rollte ein Fass heran. Die Menge fiel in tiefes Schweigen, nur ein Säugling plärrte kurz auf. Es war so still, dass Aurelia die Banner im Wind flattern hörte.
Der Stadtausrufer in den Mainzer Farben stieg auf das Fass. »Höret den Willen des neuen Stadtherrn Adolf von Nassau.« Der Wind trug seine klare, tiefe Stimme weit über den Platz.
Aurelia wollte nicht die Lobpreisungen hören, nicht die unterwürfigen Segenswünsche. Sie hielt sich die Ohren zu, bis sie
in den verhärmten Gesichtern um sich herum noch größeren Schrecken sah. Kiefer sackten nach unten, Hände fuhren durch graues Haar.
»… ist euch die Rückkehr nach Mainz und ins Land des Bischofs auf immer unterm Blutbann verboten.Wer bei Sonnenuntergang noch in den Mauern angetroffen wird, ist des Todes.« Der Stadtausrufer rollte den Befehl ein und stieg vom Fass.
»Folgt schweigend den Stadtschergen«, rief ein Ritter und hob eine Lanze.
Die Ersten vor ihr schlurften los. Aurelia trottete hilflos von Gasse zu Gasse mit, an verkohlten Häusern und verrammelten Verkaufsbuden vorbei. Dort war die Kapelle mit dem vergessenen Brunnen, wo Romuald sie das erste Mal geküsst hatte. All das schien so fern, dass es nicht einmal wehtat. Oder doch so sehr schmerzte, dass sie es noch gar nicht spürte, wie im ersten Moment, wenn man sich verbrannte.
Ausgerechnet unweit des Hauses von Romualds Mutter stockte der schweigende Menschenzug. Die Mainzer Bürger gafften aus den Fenstern der verschont gebliebenen Giebel. Manche Gesichter glänzten erleichtert, andere waren voll Angst hinter Händen verborgen.Wieder andere Leute warfen Unrat herab. Aurelia achtete nicht darauf, ob ihr Rock und Hemd noch einen Fleck mehr abbekam. Mit jedem Schritt wurde sie wieder zu einer Fahrenden, zu einer Frau von der Landstraße, bar jeglicher Rechte, ohne Schutz. Ein Nichts auf Erden.
»Du bist schuld, dass mein Sohn tot ist!« Jemand zerrte an ihrer Schulter. »Bist du nun zufrieden, Hexe?«
Erst bei dem Schlag ins Gesicht, erst als ihr heiß das Blut aus der Nase schoss, wurde Aurelia wieder ihrer selbst gewahr. Noch ehe Romualds Mutter den nächsten Schlag führen konnte, hob sie schützend den Unterarm vor ihr Gesicht.Wie
konnte diese Frau nur glauben, sie wolle Romualds Tod? »Ich bete dafür, dass er noch lebt«, flüsterte sie.
»Du Hexe willst beten?«
»Lass sein, Mutter.« Romualds Schwester zog ihre keifende Mutter zurück ins Haus. »Sie ist es nicht wert.«
Aurelia wusste, wie zwecklos eine Antwort war. Dummheit lernte nichts. Doch Romualds Mutter riss sich wieder los und krallte sich in Aurelias Kragen. »Ich verfluche dich, du Hexe, weil du schuld an seinem Tod bist. Sie haben meinen Romuald erschlagen. Mögest du verrotten und von den Würmern gefressen werden …«
»Lasst endlich das Weib fahren, sonst könnt ihr beide euch gleich einreihen«, rief ein Landsknecht und stieß Romualds Mutter mit einem Knüppel in die Seite. Mit einem Schmerzenslaut ließ sie Aurelias Kragen los. »Verflucht seist du, Hexe, verflucht!«
Doch die Verwünschungen prallten an Aurelia ab. Ein Gefühl erfasste sie, als schütze Romualds Liebe sie vor den bösen Worten. Sie schaute noch einmal zurück in die hasslodernden Augen seiner Mutter und Schwester. Strömte diese Kraft vom Himmel herab, war Romuald tatsächlich tot?
Sie fand keine Antwort in ihrem Herzen.
»Da sind Mönche«, sagte ein Lahmer neben ihr.
»Sie teilen etwas aus«, rief ein anderer hoffnungsfroh.
»Brot. – Es gibt Brot. – Gedankt sei dem Herrn.«
Die Menge geriet in heftige Bewegung.Aurelia richtete den Blick auf den Weg vor sich, damit sie nicht stolperte und von der Menge totgetreten wurde.
»Der neue Herr hat es der Stadt als Strafe aufgegeben, dass sie uns noch einmal speisen. – Lob dem neuen Stadtherrn. – Mögen die Mainzer dafür verrecken«, riefen die Menschen durcheinander.
Die Menge warf Aurelia fast um, so sehr drängte man von
allen Seiten nach vorn. Sie hielt sich an Schultern, Bäuchen und Armen fest. Vor dem Gautor verteilten die Augustiner-Mönche
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